Anonymous, Karikatur zum Prozess Theo Cibber vs. William Sloper, 1738. Sie sieht, sagt Susanna Cibber, bald aus wie in der Karikatur
vom letzten Jahr.
Jeder eine Fackel in der Hand weiter zurück
MR. BENEFIT
Theo Cibber verklagt William Sloper wegen Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau Susanna
Cibber. Im Gericht fragt der Anwalt die Geschworenen: „Ist er geschädigt worden? Er hat zugestimmt.
Er hat eine hohe Summe kassiert.“
Neil Coke, Jeder eine Fackel in der Hand. Roman.
Dienstag, 27. November 1739
„Die Herren Smith und Snyder sind hier!” sagt der Sekretär,
der bei Will Murray den Kopf in die Tür steckt. Der
Anwalt steht am Fenster, lächelt und nickt. „Führt sie herein.
Und bringt mir die Akte Sloper.”
Sie treten ein, und Murray reicht Smith, seinem Mandanten,
die Hand, aber die Hand von Snyder hält er länger, denn
Snyder ist Susanna Cibber, cross-dressed, in Männerkleidern,
und irgendwie blickt der Sekretär leicht irritiert, als er die
Akte Sloper bringt, eine dicke Kladde, die er aufs Pult legt, hinter
das Murray sich setzt.
Erleichtert sagt Murray: „Da seid ihr also! Nehmt bitte
Platz.” Smith ist Sloper, und als der Sekretär gegangen ist, sagt
Sloper: „Wir haben den Hintereingang benutzt. Die Kutsche
ist sofort wieder abgefahren.”
Susanna Cibber nimmt rechts von ihm Platz, schlägt ein
Bein übers andere, blickt schräg und leicht gequält zu
Murray hin, der ihr ein ermutigendes Lächeln zuwirft, als sie mit
der Hand über ihren Oberschenkel streift, der sich in der
Hose hübsch abbildet.
Sie sagt: „Es ist eine Hosenrolle wie eine andere auch.
Es macht mir nichts aus. Abgesehen davon, dass ich
mich bald gar nicht mehr zu verkleiden brauche. Ich sehe bald
aus wie in der Karikatur vor einem Jahr.”
Veröffentlichung verhindert
Murray weiss, wovon sie redet. Disguised, naked, despised.
So hat die Karikatur sie abgebildet, nackt im Bett, ein lebender Leichnam, der vor dem Liebhaber liegt, fern aller Lust. Aber auch
jetzt, denkt Murray, sieht Susanna Cibber nicht gut aus,
das Gesicht mager, bleich, das lange Haar zusammengebunden,
als sei es eine Perücke, perfekt, glänzend, leblos, schwarz.
Neben ihr hat Sloper Platz genommen. Er sitzt unruhig
da. Er sagt: „Ich hab mit meinem Vater geredet. Er hat die neue Veröffentlichung von Mr. Cibber verhindert.”
Susanna Cibber sagt maliziös: „Die Four Original Letters.
Mr. Cibber hat getobt, als er erfahren hat, dass sein
Schweinskram nicht in den Buchhandel kommt und er auf der Druckerrechnung sitzen bleibt.”
Sloper sagt: „Mein Vater hat einen Anwalt zum Drucker
geschickt. Der hat ihm die Konsequenzen geschildert. Da hat
der Mann kalte Füsse bekommen. Mein Vater ist der
Meinung, man muss Mr. Cibber stoppen.”
Aussergerichtliche Einigung gescheitert
Was den dreien bevorsteht, ist ein zweiter Prozess. Theo
Cibber hat auf Schadenersatz geklagt. Ihm fallen
Einnahmen aus, nachdem seine Ehefrau abgetaucht ist
und auf der Bühne nicht mehr auftritt. Murray schaut
erst Sloper, dann Susanna Cibber an.
Er sagt: „Die aussergerichtliche Einigung, muss ich euch
leider sagen, ist gescheitert. Es wird erneut zum Prozess
kommen, und wie gut wir dann aufgestellt sind, muss sich zeigen.
Und nun zur Idee einer Gegenklage –”
Das Booklet mit dem Titel The Tryal of a Cause for
Criminal Conversation ist von alleine aus der Kladde
herausgerutscht, Murray nimmt es in die Hand und hält es
angewidert hoch, als sei es ein schreckliches Reptil.
„Diese Schrift, ein scheussliches Machwerk, zugegeben –”
„Das sich sehr gut verkauft hat”, sagt Sloper
zähneknirrschend. „Diese Schrift –”, fährt Murray fort.
„Es bringt ihr nur noch mehr Aufmerksamkeit, wenn ihr sie
zu verbieten beantragt.”
The Tryal of a Cause for Criminal Conversation ist
anonym erschienen, das Booklet stammt aus der Küche von
Theo Cibber und gehört, was Moral und Intrige angeht,
nicht in die Welt, in der Murray sich bewegt, der erfolgreiche
Anwalt, der bei seinem Erscheinen kopfschüttelnd darin
geblättert hatte.
Er auf dem Tennisplatz, sie auf der Bühne
Murray ist überzeugt, nicht nur der Kläger, Theo Cibber,
auch seine Anwälte hätten Mr. Hayes im ersten Prozess präpariert,
den sie am 5. Dezember 1738 gegen Sloper geführt,
mehr noch inszeniert hatten.
„Genug, genug!” Der Gerichtsvorsitzende hatte Mr. Hayes
gestoppt. Zu gerne hätte der Zeuge weitere Einzelheiten
wiedergegeben, die zwischen Susanna Cibber und Sloper
vorgefallen waren, weitere Intimitäten, weitere sexuelle
Handlungen, die er ausspioniert, die er durch das selbstgebohrte
Loch in der Täfelung im Nebenzimmer stehend und vor
Erregung zitternd beobachtet hatte, der Spanner.
„Er knöpfte sich die Kleider auf, hängte die Perücke an eine Wandleuchte, liess seine Hose herunter, nahm sein Glied in die
Hand und legte sich auf sie hinauf.”
Mr. Hayes ist der Ehemann der Hauseigentümerin
Mrs. Hayes, bei ihr hatte Susanna Cibbers Dienstmädchen
Anne Hopson zwei Zimmer gemietet. Mr. Hayes
beobachtete das Liebespaar im Auftrag, Theo Cibber hatte ihn engagiert, als Schnüffler.
Als Mr. Hayes die fashionably dressed visitors seiner
neuen Mieterin das erste Mal ins Haus liess, war er
sicher, er hätte Sloper auf dem Tennisplatz und Susanna
Cibber auf der Bühne schon gesehen.
Um sie endgültig zu identifizieren, folgte er zu Fuss nachts
ihren Sedan chairs auf dem Heimweg, ihr zu Theo
Cibbers Haus, Little Wild Court 12, ihm zum Haus des Parlamentsabgeordneten William Sloper senior,
Nähe St. James Palace.
Mein Herr nennt ihn Mr. Benefit
Anne Hopson trat in den Zeugenstand, und Theos Cibbers
Anwälte hielten ihr vor, sie könne gar nicht die Wahrheit sagen
ohne ihren Ruf zu kompromittieren.
Anne Hopson sagte: „Ich sage euch alles, was ich in
der Sache weiss. Ich habe keine Angst, was meinen Charakter
angeht. Es sind genug Leute im Gericht, die mir einen
sehr guten Charakter bescheinigen.“
„Es war etwa im März vor einem Jahr, als Mr. Sloper zum
ersten Mal in unser Haus kam, zu den Cibbers. Die Bediensteten wussten nicht, wer er war, aber mein Herr nannte ihn
Mr. Benefit und sagte, er sei ein Spieler, ein gutmütiger Junge.“
„Mr. Cibber war knapp bei Kasse. Er hatte Angst vor
seinen Gläubigern. Ich bedauerte dies ausserordentlich, denn er schuldete mir Geld und tut’s noch immer. Aber eines Tages
sagte er zu mir: ‘Anne, ich werde bald eine Menge Geld haben, Von dem ihr sollt was abbekommen.’ Kurz danach hatte er tatsächlich Geld und bezahlte mir fünf Guineas.“
„In diesem Sommer logierten wir uns in Kingston ein.
Mr. Sloper kam mit uns. Mein Herr liess Mr. Sloper und meine
Herrin oft zu Hause allein und ging reiten oder sonst
auswärts wohin.”
Das Paar benutzt die Wohnung
Ganz klug war Murray aus der Geschichte nie geworden.
Die Wohnung bei Mrs. Hayes hatte Anne Hopson gemietet, als
sie in die Stadt zurückkamen. Sie quittierte ihren Dienst
bei den Cibbers, angeblich um zu schneidern, was sie als Kind
gelernt haben wollte.
Susanna Cibber und Sloper, gab sie vor Gericht zu,
besuchten sie oft in der Wohnung in Mrs. Hayes’ Haus.
Gefragt, was sie als Grund dafür vermutete, warum
die beiden sich so oft bei ihr trafen, zuckte Anne Hopson die
Schultern. Sie sagte: „Da sie Bekannte waren,
um miteinander zu reden.”
Einige Zeit später kündigte Anne Hopson die Wohnung
bei Mrs. Hayes. Sie kehrte zurück zu den Cibbers nach Wild
Court und arbeitete erneut bei ihnen.
Anne Hopson sagte: „Vergangenen März ungefähr lebte
ich wieder bei ihnen. Mein Herr nahm mich beiseite, und ich musste ihm versprechen, geheim zu halten, was er mir sagte. Er sagte,
dass er nach Frankreich gehe und dass es zwischen Mr. Sloper und seiner Ehefrau eine Affaire gebe. Ich musste ihm versprechen
bei ihr zu bleiben, bis er zurück sei.”
Am empfindlichsten Punkt getroffen
Theo Cibbers Anwalt war John Strange. Er erläuterte,
warum sein Mandant Klage erhob. Strange sagte:
„Mr. Cibber ist ein Schaden entstanden, der ihn an seinem empfindlichsten Punkt getroffen hat, an seinem inneren Frieden, seinem Glück und seiner Hoffnung auf Wohlstand.“
„Das ist ein Schaden, der mit keiner pekuniären
Wiedergutmachung je angemessen zu entschädigen ist.
Denn mit Geld lässt sich der innere Frieden eines
Menschen nicht wiederherstellen. Nichtsdestotrotz vertraut der
Kläger auf die Mittel, die ihm die Rechtsprechung bietet.”
Über seinen Mandanten sagte Strange:
„Mr. Cibber ist ein Gentleman und von guter Herkunft,
selbst wenn er ein Spieler ist. Sein Vater ist Autor
und in England die absolute Nummer eins im Theatre Business,
sein Grossvater der beste Bildhauer seiner Zeit.“
„Mr. Cibber hat eine klassische Ausbildung in Winchester
genossen. Wenn für einige Leute Schauspieler nicht der gleichen Klasse angehören wie andere Subjekte Ihrer Majestät,
so verträgt es sich mit dem Gesetz gleichwohl nicht ihr Eigentum
eher anzutasten als das anderer Leute.“
„Mir ist auf jeden Fall kein Gesetz bekannt, das
Schauspielern die Rechte und Annehmlichkeiten anderer
loyaler Bürger abspricht, dies umso weniger, als die
Bühne lange Zeit als Schule der Tugend und Moral gepriesen
und gefördert wurde.”
Über Schranken der Pflicht hinweggesetzt
Gegenüber den Geschworenen betonte Strange:
„Mr. Sloper hat in der Stadt das Gerücht verbreitet, Mr. Cibber
hätte selbst herbeigeführt und sei einverstanden
gewesen mit dem, was ihm angetan worden sei, damit ihr
seinem Fall mit Befangenheit begegnet.“
„Aber das ist nichts als eine Vermutung und eine bösartige Unterstellung, während die Tatsache einer kriminellen
Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Ehefrau des
Klägers nicht zu bestreiten ist.”
Sergeant Eyre wurde aufgerufen, er war Slopers Anwalt.
Sergeant Eyre sagte: „Mich erstaunt, dass das Theater ein für die Tugend berühmter Ort sein soll.”
Weiter sagte Eyre: „Ich hoffe, dass zwischen meinem
Mandanten und der Ehefrau des Klägers nichts Kriminelles
geschah. Aber falls es doch geschah, ermutigte es
der Kläger sicher und hatte keinesfalls die Absicht mit einer Schadenersatzklage vor Gericht zu ziehen.”
Dann war es Murray, der aufstand, ebenfalls Slopers Anwalt,
er holte das Ganze ein bisschen herunter, indem er sagte:
„Ich bedaure, nicht wie meine geschätzten Kollegen hoffen zu
können, dass nichts Unzüchtiges zwischen der Ehefrau
des Klägers und dem Beklagten geschah.“
„Mir ist klar, dass die beiden, einer ist mein Mandant,
sich über die Schranken der Pflicht hinweggesetzt haben. Mir
ist aber ebenso klar: Der Kläger hat dem Verbrechen
nicht nur zugestimmt, er hat es konzertiert.”
Meisterin verlockender Bühnenkünste
Vom Verlauf, den der Prozess letztes Jahr genommen hatte,
war Murray nicht überrascht. Er hatte bei den Geschworenen, als
es um die Bewertung der Umstände ging, um Nachsicht
für seinen Mandanten gebeten.
Jetzt erstaunt Murray ein wenig, was er vor Jahresfrist
über Susanna Cibber gesagt hatte, jetzt, wo er Susanna Cibber
in der Kanzlei sieht, wie sie in ihrer Männerkleidung so
hübsch artig und doch zutiefst verletzt dasitzt.
An die Geschworenen gewandt hatte Murray gesagt:
„Der Beklagte, ein vermögender, junger Gentleman, wird mit
einem Spieler und seiner Ehefrau bekannt. Sie, die eine
Meisterin all der verlockenden Künste der Bühne ist, gewinnt zuerst
die Zuneigung des jungen Gentleman und zieht ihn drauf
an sich, unter Mitwissen und mit Unterstützung ihres Ehemanns.“
„Wann immer der junge Mr. Sloper das Haus der Cibbers
besucht, verschweigt der Kläger vor den Bediensteten den wahren Namen des Beklagten. Er nennt ihn bei einer Gelegenheit
Cousin Thompson, bei einer anderen nennt er ihn Mr. Benefit, was
ein Spitzname ist, der von der besonderen Nacht im Jahr
herrührt, in der ein Spieler zum grossen Geld kommt.“
„Nur gegenüber Mrs. Hopson, der er etliche Monatslöhne
schuldet, gesteht Mr. Cibber, dass er bald zu Geld
kommt und dass Mr. Sloper ein Spieler ist, ein gutmütiger
Junge – in der Tat, er macht einen Jungen aus ihm!“
„Und diesem Jungen überlässt er seine Frau! Von diesem
Jungen nimmt er Geld zum Unterhalt seiner Familie! Und bemüht
drauf das Geschworenengericht zur Wiedergutmachung
des Schadens!”
Ist der Kläger geschädigt worden?
„Euch, Gentlemen, obliegt es zu bedenken, welche Folgen
es in einem solchen Fall hätte Schadenersatz zu gewähren.“
„Unaufhörlich der Schaden, den dies nach sich zöge,
wenn dies in der Welt eines Tages so verstanden würde, dass zwei Schlaumeier, Mann und Frau, eine Schlinge auslegen, um
die Zuneigung eines unvorsichtigen, jungen Gentleman gewinnen,
ihm eine Geldsumme abknöpfen und sich dann mit Hilfe
von zwölf Geschworenen daran machen, noch mehr aus ihm herauszupressen.“
„Gentlemen, ich lege Wert darauf, auf keinen Fall als
Advokat der Moral meines Mandanten gesehen zu werden. Nur erinnere ich daran: Das ist kein Verfahren, bei dem es
um eine Bestrafung im Interesse der Öffentlichkeit geht. Die
einzige Frage, die sich hier stellt, lautet: Ist der Kläger
geschädigt worden?”
„Sicher kann er sich nicht einfach als geschädigt hinstellen,
wenn er nicht nur zugestimmt, sondern auch noch eine hohe
Summe kassiert hat für etwas, das für ihn ohne jeden Wert ist.
Gentlemen des Geschworenengerichts! Die Münze allerkleinster Währung ist noch zu gross, um den Kläger zu entschädigen,
wenn es soweit ist ein Urteil zu fällen.”
Eine Veranstaltung der Rechtsanwälte
Murray war vierunddreissig, als er mit diesen Worten in der Westminster Hall vor dem Court of the King’s Bench aufgetreten
war, er war seit einem Jahrzehnt Anwalt und ein
Vierteljahr verheiratet.
Am 20. September 1738 hatte er Elizabeth Finch
geheiratet, eine Grosstochter von Heneage Finch, dem 1st Earl
of Nottingham, dem grossen Lordkanzler des siebzehnten
Jahrhunderts, und mit Elizabeth lebt er, wie es aussieht, überaus
glücklich zusammen, auch wenn sie keine Kinder haben.
Er ist mit sechs Brüdern und acht Schwestern
aufgewachsen, aber bis zur Stunde ist er der einzige, der
es zu etwas gebracht hat, geboren am 2. März 1705,
geboren im Sternzeichen des Fisches wie Händel, geboren
in Perth, Schottland, auf Scone Palace, dem Erbgut
der Familie.
Mit vierzehn ist er zu Pferd nach London gekommen,
er tut sich an der Westminster School hervor, er wird
als King’s Scholar ausgezeichnet, er kommt an die Christ School
in Oxford, übersetzt Ciceros Reden aus dem Lateinischen
ins Englische und aus dem Englischen ins Lateinische zurück,
mit neunzehn fängt er in London bei den Juristen in
Lincoln’s Inn Fields an.
Der Court of the King’s Bench liess die Verhandlung,
das hatten die Anwälte des Beklagten, auch Murray, beantragt, absichtlich nicht protokollieren. Das Booklet The Tryal
of a Cause for Criminal Conversation stützt sich auf Notizen,
die ein Zuschauer heimlich im Gericht anfertigt, und
Murray denkt: Erst die Veröffentlichung dieser Notizen ist es,
die Susanna Cibber in aller Öffentlichkeit entblösst.
Im Gericht ist sie nicht anwesend, ebensowenig ihr Liebhaber,
der Beklagte Sloper, auch der Kläger, Theo Cibber, ist
nicht anwesend. Was vor Gericht abläuft, ist eine Veranstaltung
der Rechtsanwälte, die ihre Zeugen vorschicken.
Murray hatte das von Anfang an nicht gefallen, hinterher
fragte er sich: Hat Theo Cibber das heimliche Protokoll veranlasst?
Der Ruf seiner Ehefrau interessiert Theo Cibber nicht. Ihn
interessiert das Vermögen ihres Liebhabers
Überzeugt sein Taschenspielertrick?
Und diese Geldquelle ist nicht ausgereizt. Theo Cibber
profitiert davon, dass seine Frau nach englischem Recht ihm
gehört. Eine Ehe kann nur im Ausnahmefall und nur
durch das Parlament geschieden werden.
Darauf baut Theo Cibber sein Strategem auf, seine Kriegslist.
Er bedient sich einer Ummünzungsstrategie. Es geht Theo
Cibber darum etwas Geringeres gegen etwas Wertvolleres zu tauschen. Der Ruf von Sloper ist der Einsatz. Der Junge
wird bezahlen. Oder seine Familie. Davon geht Theo Cibber aus.
Und wie der Witz eine Taschenspielerei mit Ideen
und Vorstellungen ist, so ist die List eine Taschenspielerei mit
Handlungen. Theo Cibber führt die Handlungen selbst
herbei, seine Handlungen sind erkennbar zielgerichtet, sie
bestehen darin, seine Ehefrau Sloper zu überlassen.
Was das Gesetz als Criminal Conversation umschreibt,
ist für Theo Cibber nur der Vorwand. Er klagt auf Schadenersatz,
er will Geld. Er klagt auf fünftausend Pfund Schadenersatz.
Die Frage, die Murray sich bei seinem offensiven Vorgehen
im ersten Prozess gestellt hatte, war gewesen: Überzeugt
der Spieler vor Gericht, überzeugt sein Taschenspielertrick?
Eine halbe Stunde berieten die Geschworenen, drauf
kehrten sie in die Westminster Hall zurück. Sie bejahten den
Tatbestand der Criminal Conversation. Gepaart hatten
sich die beiden. Sie verurteilten Sloper also, dem Gesetz
war genüge getan. Aber Schadenersatz? Zehn Pfund
sprachen sie Theo Cibber zu, das war die kleinste, im Umlauf
befindliche Note.
Attraktion einer Peepshow
Ein scheussliches Machwerk, das Booklet The Tryal of a Cause
for Criminal Conversation, ein scheusslicher Prozess,
aber der zweite Prozess kann leicht noch scheusslicher werden.
Es ist verrückt, denkt Murray, diese Szene in seiner Kanzlei!
Er sitzt da, schweigt, denkt nach und blickt seinen Mandanten
an, der in Begleitung der Geliebten gekommen ist, der
unerkannten, als Mann verkleideten Geliebten. Zu Sloper
gewandt sagt er entschlossen: „Was an diesem Fall stört, ist
das Urteil der Öffentlichkeit, für das die Druckerpresse sorgt.”
Und, an Susanna Cibber gewandt, fügt er hinzu:
„Indem sie die Neugier befriedigt, macht sie euch zur
Attraktion der Peepshow, als die das Booklet The Tryal of a Cause
for Criminal Conversation euch von Anfang an vermarktet.”
Murray erhebt sich, er will seinen Mandanten und die Begleiterin verabschieden. Es ist Dienstag, 27. November 1739. Es
ist bald Abend, aber Susanna Cibber tritt heute Abend nicht auf.
Sie tritt die ganze Spielzeit in London nicht auf, sie fällt
das zweite Jahr aus.
Die Gerüchte, die in der Stadt zirkulieren, sind zahlreich. Das
weiss Murray. Boykottiert man sie? Ist sie indisponiert? Macht sie
eine verlängerte Babypause? Will sie vermeiden, dass Theo
Cibber ihre Gage einstreicht und sofort verspielt?
Er erhöht ihr die Gage nicht
Susanna Cibber ist fünfundzwanzig, im besten Alter. Aber
nur ihr Ehemann, Theo Cibber, tritt heute Abend auf. Er tritt im
Covent Garden Theatre auf, in The Way of the World.
Theo Cibber gibt den Witwoud, der um Millamant wirbt. Zu
Witwoud sagt Millamant: „Oh, ja, Briefe – Ich hatte Briefe. Ich
werde verfolgt von Briefen. Ich hasse Briefe. Niemand
weiss, wie man Briefe schreibt. Und schon hat man sie, man weiss nicht warum. Sie dienen einem um das Haar aufzustecken.”
Und Witwoud erwidert: “So geht das also? Bitte, Madam,
steckt ihr mit all euren Briefen euer Haar auf? Ich glaube, ich muss Kopien aufbewahren.”
Unwichtig, denkt Murray. Alles unwichtig. Susanna Cibber
war nicht abgetaucht, weil ihr Ehemann sie zur Attraktion einer Peepshow gemacht hatte. Sie hatte sich zurückgezogen,
weil sie wieder schwanger geworden war.
Sie wollte verhindern, dass Theo Cibber das Neugeborene
als sein Kind ausgeben konnte. Aber möglicherweise hatte ihre Abwesenheit von der Bühne noch einen einfacheren
Grund, einen finanziellen. Fleetwood hatte Susanna Cibber die
Gage nicht erhöht.
Sehr guter Benefit
Murray erinnert sich daran, wie der Patentinhaber des
Drury Lane Theatre im ersten Prozess vor dem Court of King’s
Bench erschien. An jenem 5. Dezember 1738 hatte
Fleetwood gerade den Schwur geleistet, als er gefragt wurde:
„Ihr kennt die Frau des Klägers? Ist sie eine gute
Schauspielerin?”
Fleetwood: „Ja, Sir. Ich denke, sie ist für ihr Alter eine
gute Schauspielerin.” Frage: „Welche Gage habt ihr ihr
bezahlt? Welche Vorteile hat sie ihrem Ehemann gebracht?” Fleetwood: „Sie hat drei Saisons gespielt. In der ersten
betrug ihre Gage hundert Pfund, und sie hatte einen Benefit.”
Frage: „Wieviel betrug dieser Benefit?” Fleetwood:
„Das kann ich nicht genau sagen, weil ich das in der Abrechnung
nicht nachgeschaut hab. Hätte ich gewusst, dass ich dazu
befragt werde, ich hätte nachgeschaut. Ich glaube, das müsste
um die hundert Pfund gewesen sein.” Frage: „Und, Sir,
das zweite Jahr?”
Fleetwood: „Das zweite Jahr, Sir, bezahlte ich ihr
zweihundert Pfund Gage, und sie hatte einen Benefit.” Frage:
„Wieviel betrug der Benefit?” Fleetwood: „Das muss
einiges über hundert Pfund gewesen sein.”
Frage: „Und dann, das dritte Jahr?” Fleetwood: „Das
dritte Jahr betrug ihre Gage zweihundert Pfund, und sie hatte
einen Benefit.” Frage: „Und wieviel betrug der Benefit?”
Fleetwood: „Ich glaube, das muss hundertundfünfzig Pfund
gewesen sein, denn sie stieg sehr im Ansehen der Stadt,
und es war ein sehr guter Benefit.”
Vielleicht verdient sie es ja
Die Anwälte des Beklagten, auch Murray, nahmen Fleetwood
drauf ins Kreuzverhör. Das war letztes Jahr gewesen,
aber für Murray bekam Fleetwoods Aussage von damals ein Jahr später erst recht Bedeutung und Gewicht.
Frage: „Wie kommt es, Sir, dass Mrs. Cibber diese Saison
nicht spielt?” Fleetwood: „Weil wir uns über die Gage nicht einigen konnten. Ich konnte nicht bezahlen, was sie verlangt hat.”
Frage: „Was hat sie verlangt?”
Fleetwood: „Sie hat darauf beharrt ebenso viel Gage
zu bekommen wie jede andere Frau im Haus. Und den besten
Benefit.” Frage: „Vielleicht verdient sie es ja auch.
Ist sie nicht eine ebenso gute Schauspielerin wie jede
andere im Haus?”
Fleetwood: “Ich kann es nicht sagen. Ich kann nicht so
tun, als ob ich das entscheide. Ich nehme mehr Geld ein, wenn
Mrs. Clive spielt.”
Wollen wir? Ist es Zeit?
Jetzt sind sie gegangen, Sloper und Susanna Cibber.
Das meistgeprügelte Liebespaar im Königreich, wie Elizabeth,
Murrays Ehefrau, sie nennt. Murray steht am Fenster,
blickt hinaus und sieht, wie sie Hand in Hand aus der Kanzlei
in den Innenhof treten und die Kutsche besteigen, die
seit einer Minute bereit steht.
Es ist keine Sternstunde der Rechtsprechung in England
zu erwarten! Die Tür fällt zu, die Kutsche mit dem
Paar rollt sofort und rasch los. Elizabeth, seine Ehefrau, ist
gekommen um Murray abzuholen, aber er hat sie gar
nicht kommen hören, plötzlich steht sie hinter ihm und hält ihm
mit beiden Händen die Augen zu.
„Ihr scharfblickender Seher, mein Geliebter!” Elizabeth
drückt sich an ihn. Sie sagt: „Wollen wir?” „Ist es schon Zeit?”
„Unsere Kutsche steht vorn.”
Wofür sie mit fünf Pfund gebüsst wird
Sie sind das Paar, das ausgeht, denkt Murray. Sie gehen
heute Abend ins Lincoln’s Inn Fields Theatre, zu Händel. Der Tag
ist noch nicht erfüllt. Oh, mein Gott! denkt Murray. Das
wird ein schlimmer Prozess werden.
Sie steigen vor dem Haus ein, die Kutsche rollt zögernd an,
er sitzt neben Elizabeth. Sie sagt: „Woran denkt ihr?
Ich sehe, ihr seid noch ganz bei eurem Mandanten.” Murray war
gerade Benjamin Griffin eingefallen, der Schauspieler
im Drury Lane Theatre, der darüber Buch führte, was Abend für
Abend über die Bühne des Hauses ging.
Ein Anwaltskollege, der Griffin kannte, hatte ihn drauf
angesprochen, und es hatte sich herausgestellt, dass er Anfang September 1737 Hamlet als Stück für den Abend in sein
Tagebuch eingetragen und dazu notiert hatte:
Mrs. Cibber weigert sich Ophelia zu spielen, wofür
sie mit fünf Pfund gebüsst wird – stattdessen wird The Miser
gegeben.
Und das, erinnert sich Murray, war noch nicht alles,
was bei Griffin dazu im Tagebuch gestanden hatte,
aber war nicht das allein schon mehr als genug? The Miser.
Von Molière. Der Geizige. Kein schlechter Ersatz,
wenn es im Theater Streit um die Gage gibt, denkt Murray.
Einen Tag später hatte Griffin eingetragen: Ein
Streit zwischen Mr. Quin & Mrs. Cibber wegen Rauchen
im Green Room.
Geschlechtsverkehr. Intimitäten. Ehebruch.
„Wie recht ihr habt, meine Liebe”, sagt Murray, als die Kutsche,
mit der sie im Abendverkehr unterwegs zum Konzert
sind, scharf anhält, ein Pferd sich wiehernd aufbäumt und
er aus dem Fenster blickt. „Ist nichts.”
Er legt seine Hand auf die Hand, die Elizabeth auf seinen
Oberschenkel gelegt hat. „Es ist nicht dasselbe, wenn ihr
in einer Kutsche sitzt und nicht auf dem Pferd selbst. Genau!
Es ist wie mit einem Prozess und dem Gesetz selbst.”
Als Murray versucht, sein Bild von Susanna Cibber
zu schärfen, fällt ihm noch etwas wieder ein. Griffins Notizen,
hatte der Anwaltskollege, der sie eingesehen hatte,
zu Murray gesagt, zeigen Susanna Cibber als Frau, die sich
Konflikten stellt.
Es sind nicht ausschliesslich Shakespeare-Rollen
wie Ophelia in Hamlet, wie Isabella in Measure for Measure,
die sie im Drury Lane Theatre spielt, hatte der
Anwaltskollege gesagt. Sie spielt auch Indiana in The
Conscious Lovers, Endocia, Belvidera, Monimia,
Desdemona, Cleopatra, sie spielt Amanda in The Relapse,
Mrs. Loveit in The Man of Mode, The Lady in Comus,
Cassandra in Agamemnon.
Als die Kutsche wieder anfährt. drückt Murray die Hand,
die Elizabeth noch immer auf seinem Oberschenkel liegen hat. Susanna Cibber war, das wäre ja noch schlimmer
gewesen, nicht anwesend im Court of the King’s Bench, als das
Gericht am 5. Dezember 1738 über die Klage ihres
Ehemanns wegen Criminal Conversation entschieden hatte.
Geschlechtsverkehr? Intimitäten? Ehebruch? Murray
muss lachen. Susanna Cibber war, als der erste Prozess
vor dem Court of King’s Bench in der Westminster Hall stattfand,
im sechsten Monat schwanger. Ein Vierteljahr später,
im Februar 1739, hatte sie eine Tochter zur Welt gebracht,
Susanna Maria, ihr erstes Kind mit Sloper,
sie nennt es Molly.
Von den Fluten zurückgeholt
Gegen ihn klagt Theo Cibber jetzt erneut, dieses Mal wegen
des Verlustes, den er durch den Abzug seiner Ehefrau
aus ihrer Anstellung im Theater erlitten hatte. Detaining the
Plaintiff’s Wife. Vorenthaltung oder Fernhaltung der
Ehefrau des Klägers.
Das ist der eingeklagte Sachverhalt. Wieder klagt Theo
Cibber auf Schadenersatz, nicht auf fünftausend, sondern auf
zehntausend Pfund jetzt. Noch weiss Murray nicht, wie
er seinen Mandanten verteidigt. In einer Woche, Dienstag, 4.
Dezember 1739, behandelt der Court of King’s Bench
in der Westminster Hall den Fall.
Die Strasse ist nass und schmutzig, ein Sturm hat über
die Küste gefegt, und The London Daily Post hat den doppelten Umfang, wegen Neuerscheinungen am Buchmarkt, nicht
wegen der durch den Sturm ausgelösten Schiffskatastrophen.
Die bringt das Blatt im unteren Teil der Nachrichtenspalte:
Gestern kam Nachricht, dass die Prince of Asturias,
Captain Sutcliff, im Sturm der vergangenen Mittwochnacht in der
Nähe von Portland gestrandet ist.
Vier Mann ertranken, und mit grosser Schwierigkeit rettete
sich der Captain, denn nachdem er an die Küste gelangt war,
wurde er von den Fluten zurückgeholt und das zweimal.
Aber mit Glück rettete er sich das dritte Mal selbst. Frachtteile
und Inventar des Schiffes wurden sichergestellt.
Dazu gibt es Kriegsmeldungen: Die Spanier haben drei
englische Schiffe gekapert. Gestern kam Bericht, dass
die Friendship, Captain Smith, auf der Heimreise von Oporto mit hundertdreissig Schläuchen Wein an Bord von den
Spaniern gekapert und nach San Sebastian verbracht wurde.
Und dass die Prince of Orange, Captain Sears, Dublin,
unterwegs von Mountsbay nach Venedig gekapert und in besagten Hafen verbracht wurde. Und dazu noch, dass die Johanna,
Captain Walker, unterwegs von Cork nach Gibraltar, gekapert und
nach Cadiz verbracht wurde.
Jeder eine Fackel in der Hand weiter zurück