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HITLER AM STACHUS
Fritz Hirzel, Hitler auf der Strasse,
TagesAnzeiger, Zürich, 22. August 1973
Früher oder später kommt das Gespräch auf ihn und wie
es damals war. Das ist das vergrabene Merkmal der Männer um
fünfzig in diesem Land. Sie haben Geschichte erlebt und
erinnern sich daran mit Wehmut und Bitterkeit. Oft ist es ein alkoholisierter Moment, in dem die Vergangenheit
durchbricht. Wenn man in München durch Strassen und
Lokale zieht, die ausserhalb Schwabings und seiner
flanierenden Jugendlichkeit liegen, kann man Zeuge davon werden.
In jenem Gehege aus Beton und Blumentopf,
das Fussgängerzone geheissen wird und den Auswärtigen
geballte Warenhauspotenz erschliesst, hat die Rede
von Hitler fast schon Öffentlichkeitscharakter. Ein Zwanzigjähriger
agitiert für die NPD, um ihn herum in gelassener
Feierabendstimmung ein Dutzend Leute, die aus Neugier
oder Langeweile stehen geblieben sind. Ein Herr
mit Mappe sieht die Gelegenheit gekommen, sich auf den
Russlandfeldzug zu berufen, den er mitgemacht
habe. Ihm ist es unverständlich, wie ein Grünschnabel so
deutschnational daherredet, wo er doch die Folgen
am eigenen Leib erfahren hat.
In einem der Untergeschosse zur U-Bahn, die
auf Betrunkene eine unwiderstehliche Anziehungskraft haben,
wird das alte Bayern-Preussen-Spielchen aufgeführt,
das sich mit deutschem Ernst bis in die Chefetagen von Siemens
fortpflanzen soll. Ein Säufer, ein zugereister, pöbelt
Passanten an. „Wer hat denn damals angefangen? Ihr doch,
nicht wir!“ Der Betrunkene findet nurmehr ein flüchtiges
Publikum, denn in diesen Kachel-Gängen bleibt keiner freiwillig.
Der Mann aber lässt nicht vom Thema und schwingt
einsam drohend die Bierflasche, ein doppelt Fremder da unten.
Im abendlichen Imbisslokal am Stachus, wo
einem zwischen Hamburgern und Pepsi Cola der Appetit vergeht,
quatscht ein Vertreter lauter als sonst. Er hat jenes
Lachen, das wie Weinen tönt, taumelt in einem Wortschwall
aus blinder Wut und Resignation, und Bier bekommt
er auch keines mehr. Abgebrochener Schulgang, Westfront,
amerikanische Gefangenschaft, Eintritt in die KPD,
Kassier einer Kreisgruppe. Doch von Politik will er nichts
mehr wissen. „Meine einzige Partei ist meine
Familie!“ sagt er immer wieder und zeigt mir die Bilder
von seiner Frau und den drei Kindern, die jetzt
zur Schule gehen.
Auf einmal schwärmt er von Hitler. Auf dem
Schulweg will er ihn jeweils gesehen haben. Einmal soll Hitler
den Schuljungen angesprochen haben. „An dem
war was dran, da kannst du mir sagen, was du willst.“
Er sagt es wie einer, der eine Überzeugung
aufdeckt, an der es nichts zu rütteln gibt. Dann schenkt er mir
einige von den Selbstklebern, die er handelt.