Anonymous, The Sedan Chair, undatiert. Nach drei gemeinsamen Nächten verliess die kleine Miss A. vom Haymarket Lord B.‘s Gemächer in einer geschlossenen Sänfte, entnimmt Susanna Arne, achtzehnjährig, der Presse. Noch heisst sie nicht Cibber.


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dAS GLIED

 

Die Ordnung der Welt, die sich in Parkett,

Loge und Rang spiegelt, greift auch auf die Bühne

über. In Susanna Cibbers Aufstieg ist sie

hinter der Bühne zu besichtigen. Ihre halbe Familie bindet Theo Cibber ans Drury Lane Theatre

um nur ja ihr Jawort zu erhalten.



               Neil Coke, Jeder eine Fackel in der Hand. Roman.

               Donnerstag, 22. November 1739


Im Obergeschoss des Hauses am Golden Square sitzt

Katherine Knatchbull am Schreibkabinett. Pit, Box & Gallery!

Das ist es!

      Angeregt taucht sie die Feder in die Tinte und fügt,

um die Wartezeit bis zu ihres Ehemanns Rückkehr aus dem

Lincoln’s Inn Fields Theatre zu verkürzen, dem Brief

noch eine Abschweifung hinzu, die Händels Widersacher gilt.

      Sie schreibt an James Harris, ihren Halbbruder in Salisbury:

Lord Middlesex ist Generaldirektor des kleinen Hauses

am Haymarket. Alle Plätze kosten eine halbe Guinea, Pit, Box & Gallery, wie Mr. Bays sagt. Caristini kommt & Muscovita

tritt im Konzert auf.

      Das ist, Katherine Knatchbull weiss es, im Lincoln’s Inn

Fields Theatre anders. Hier sind die Preise gestaffelt. Händel

lässt Besucher für weniger Geld in die Aufführung.

Loge eine halbe Guinea, Parkett fünf Shilling, Erster Rang

drei Shillling, Oberer Rang zwei Shillling.

      Theo Cibber gibt im Covent Garden Theatre gerade

Mr. Bayes, der die Wendung “Pit, Box and Gallery” braucht,

er hat die Rolle von Papa geerbt, von Colley Cibber.

Mr. Bayes ist die Hauptfigur im Stück The Rehearsal von George Villiers, 2nd Duke of Buckingham.

      Pit, Box & Gallery hat’s in sich, in Parkett, Loge & Rang

spiegelt sich die Ordnung der Welt. Theaterkarten berechtigen

zum Eintritt, garantieren aber keinen Sitzplatz, weshalb

Livrierte nachmittags ins Theater geschickt werden um ihrer

Herrschaft die Plätze freizuhalten. Die Vorstellung sehen

sie anschliessend vom Oberen Rang aus, wo sie bis vor kurzem

noch gratis Zutritt hatten.


Hier vermischt sich alles  

Giovanni Carestini, auch das weiss Katherine Knatchbull,

lohnt sich immer. Er ist als Sänger wie als Schauspieler in der Tat

ein herausragender Künstler, viele Kenner geben ihm

den Vorzug vor Farinelli, er hat in Händels Ariodante in der

Titelrolle brilliert, und was Alcina angeht, wird kolportiert,

er hätte sich widersetzt, Verdi prati zu singen.

      Die Arie sei zu einfach, sie werde seinem Talent nicht

gerecht. Nach London holt Händel ihn, nachdem er seine Solisten,

allen voran Senesino, an die Konkurrenz verloren hat.

      Und da sein Terminkalender es nicht zulässt, im Sommer 1733

den europäischen Kontinent zu bereisen um Ersatz

für Senesino zu engagieren, muss Händel sich auf Kontakte zu

Musikern und Diplomaten verlassen, und glücklicherweise

kann er Carestini engagieren, einen jüngeren Sänger, der in Italien

und in München eine Karriere aufgebaut hat.

      Nach dem ersten Auftritt des Kastraten in London sagt ein Operngänger: „Ein extrem guter Sänger.”

      Jetzt sind Carestini und La Moscovita die Zugpferde von

Charles Sackville, genannt Lord Middlesex. Mangels

Subskibenten hat auch er letztes Jahr keine Opernsaison mehr zustande gebracht, jetzt bietet er wie Händel ein Low

Budget Programm, eine Saison aus Serenata, Konzertaufführung

und Halboper.

      Er arbeitet mit Giovanni Battista Pescetti zusammen,

dem Komponisten der letzten Spielzeit seiner italienischen Oper.

Hier vermischt sich alles. Die Sopranistin Lucia Panichi,

genannt La Moscovita, ist die Maitresse von Lord Middlesex. Und trotzdem, es gibt längst keinen italienischen Opernhimmel

mehr in London.

      Im Gegenteil, Händel präsentiert diesen Winter erstmals

ausschliesslich englisches Repertoire. Katherine Knatchbull beisst

auf die Lippe, stutzt, tunkt die Feder in die Tinte und setzt

dem Brief an James Harris noch eins drauf, indem sie den Satz

hinwirft: Und wie ich höre, ist unsere Freundin Lady

Brown eine grosse Freundin von Madam Walmuds geworden

und berücksichtigt uns hoffentlich, verfolgt sie doch

ihre Interessen so clever wie alle anderen.


Die aktuelle Maitresse von George II. 

Unsere Freundin Lady Brown, schreibt Katherine Knatchbull

an James Harris, und eine Freundin von James Harris

ist Margaret Brown tatsächlich, in ihrem Testament vermacht

sie ihm hundert Pfund für einen Trauerring. Und dass

sie eine grosse Freundin von Madam Walmuds geworden ist,

verwundert nicht.

      Madam Walmuds ist Amelia Sophia, Baronesse von

Wallmoden. Sie kommt wie der König aus Hannover, im Vorjahr

hat sie sich in London niedergelassen, sie ist die aktuelle

Maitresse von George II.

      Sie hat ihm, als Queen Caroline noch lebt, bereits einen

Sohn geboren. Der König wird sie zu Lady Yarmouth machen.

      Und wie Lady Yarmouth, die Maitresse des etwas

knauserigen Königs, Geld zu beschaffen versteht, malt W. M. Thackeray drastisch aus: Ein Bischofsstuhl ist zu

vergeben. Die schlaue Dame „wettet” mit einem Geistlichen

um fünftausend Pfund, dass er dieses Amt erhalten

werde, was er bezweifelt.

      Und sie gewinnt die „Wette”. Ist er vielleicht der einzige

Geistliche dieser Zeit, der auf solchem Weg zu höherer Würde

gelangt? Es hört die Dienerschaft im St. James Palace

zur Zeit George II. die Kutten der Geistlichen auf den Hintertreppen rauschen, die zu den Gemächern der Hofdamen führen,

in deren Schoss goldgefüllte Börsen fallen....


Die Patronin der Sänger

Margaret Brown hat es mit Lord Middlesex, sie ist eine

Passionata der Opera of the Nobility, die Adelsoper zieht Lord Middlesex in London in Konkurrenz zu Händels Oper

auf, in der ebenfalls italienisch gesungen wird.

      Farinelli, der umjubelte Soprankastrat, tritt bei Lord Middlesex

auf. Margaret Brown hat Farinelli in Italien kennengelernt,

in Venedig, wo er 1728 im Teatro San Giovanni Grisostomo

zum ersten Mal auftritt.

      Die ganze Stadt, schreibt 1729 der britische Diplomat

Colonel Elizeus Burges an den Duke of Newcastle, ist durch

die Zerstreuungen des Carnavale und den Wettbewerb

zwischen Farinello und Faustina so beansprucht, dass wir nichts anderes denken und reden.

      Händel reist eigens nach Venedig um Farinelli für die

Saison 1729–30 in London zu engagieren, aber Farinelli will

ihn nicht treffen und erwidert seinen Besuch nicht,

obwohl Händel, schreibt Burges, dreimal an der Tür ist und

auf ihn wartet.

      Vier Jahre später singt Farinelli bei Lord Middlesex,

Lady Brown sammelt Subskriptionen, Nicola Porpora, der

Komponist, ist sein erster Lehrer, mit ihm reist Farinelli

in London an und kassiert die höchste Gage, die je einer in

Europa kassiert hat.

      Margaret Brown lässt sich als Schutzpatronin der Sänger

malen. Sie ist die Tochter des Parlamentsabgeordneten Robert

Cecil. Sie ist verheiratet mit Sir Robert Brown, dem

Handelsbanker, der in Venedig ein Vermögen gemacht hat.

      Allein in den vier Jahren bis 1732, als England

hauptsächlich Seide, Unterwäsche, Öl, Lakritze und Korinthen importiert, beläuft sich das Handelsdefizit mit Venedig

auf 146 660 Pfund.


Die Ersatzmutter  

1734 kehrt die Familie Brown aus Venedig nach England

zurück, der Handelsbanker avanciert zu Premierminister Walpoles Finanzberater. Sir Roberts Bruder ist der Geschäftsmann

James Brown, der eine Tochter von Colley Cibber, Catherine, geheiratet hat.

      Catherine Brown ist, mit ihrem Bruder und ihrer Schwester

verglichen, ein stilles Gewässer. Bei ihr bringt Theo Cibber, der Schauspieler und stellvertretender Manager des Drury

Lane Theatre ist, seine Kinder Betty und Jenny unter, als seine

erste Ehefrau Janey stirbt und Theo Cibber dabei ist in

zweiter Ehe Susanna Arne, die Sängerin und Schauspielerin,

zu heiraten.

      Catherine Brown, die Ersatzmutter, ist sieben Jahre älter

als ihr umtriebiger Bruder. Sie hat noch eine jüngere Schwester,

auch die ist Schauspielerin, Charlotte Charke heisst sie,

eine Exzentrikerin, die in Männerkleidern herumläuft.

      Katherine Knatchbull schreckt auf, als an der Tür des

Hauses am Golden Square gepoltert wird. Sie hat die Kutsche

völlig überhört. Sie blickt auf den Brief, für den ihr noch der angekündigte Schluss fehlt, springt vom Schreibkabinett auf, nimmt rasch die Kerze und läuft mit ihr nach unten.

      Da sind sie, die Konzertbesucher! Sir Wynd, ihr Ehemann,

küsst sie und schält sich aus dem Mantel, den Nanny

ihm abnimmt, die bereits den Mantel von John Cocks, Catherine Knatchbulls Onkel, im Arm hält.

      Die Herren wirken aufgeräumt, sie kommen aus Händels Saisoneröffnung und sind hellwach. Cocks lacht vergnügt. Sir

Wynd sagt zu Nanny: „Bringt uns ein Glas Wein in den

Salon.” Katherine Knatchbull sagt: „Erzählt! Wie war’s? So kann

ich’s nach Salisbury schreiben.”


Ganz der Papa  

Ihre Freundin, Lady Brown, sitzt zur selben Zeit im Haus

am St. James Palace mit Catherine Brown im Salon,

ihre Ehemänner haben sich zum Rauchen in die Bibliothek zurückgezogen, das halten die Brüder Brown immer

so, sie muss wohl, denkt Margaret Brown, zu rauchen anfangen.

      Sie hat diesen Winter keine Subskription gezeichnet,

nicht für die Saison im Little Theatre Haymarket mit Carestini

und Moscovita. Es ist einfach zu wenig, hat sie Lord

Middlesex gesagt. Nichts mehr davon! Sie lacht und blickt

Catherine mit Hinterlist an.

      Soeben hat sie vernommen hat, Catherine sei ein paar Tage

in Bath gewesen. Ihr Gesicht! denkt Margaret. Diese

Ähnlichkeit! Es muss der Papa sein, Colley Cibber, Schauspieler, Comedian, ehemals Manager des Drury Lane Theatre, Stückeschreiber, Poet laureate.

      Margaret weiss, er ist ebenfalls in Bath. Sie lächelt und

sagt: „Und wie geht’s dem grand old man?”

      Colley Cibber hat sich nach Bath zurückgezogen,

er schreibt ein Buch, das nächstes Jahr erscheint, seine

Lebens- und Theatergeschichte, in der er die

Kernfrage aller Memoirenliteratur aufwirft, in Band eins,

Kapitel eins  schreibt er:

      Ein Mann, der über vierzig Jahre seines Lebens im Theater

verbrachte, wo er nie als er selbst auftrat, weckt

natürlich seiner Zuschauer Neugier zu erfahren, wer er denn

nun wirklich sei, wenn er in keiner anderen Haut stecke

als in der eigenen, und ob er, dessen Beruf es solange gewesen

sei, sich über seine Wohltäter lustig zu machen, es nicht

verdiene, selbst ausgelacht zu werden, wenn der Mantel seines

Berufs falle, oder ob er, der oft in höchst schamlosen,

unmoralischen Charakteren zu sehen gewesen sei, nicht einen

ebenso grossen Gauner erkennen würde, schaute er

in den Spiegel, den er anderen stets vorhielt.


Aus Vaters Schatten treten  

„Oh, ganz gut, denke ich”, sagt Catherine. Sie hält Papa

für gefühlsarm. Sie lächelt das verschwiegene Lächeln

der Töchter grosser Väter. „Er hat ein Buch fertig. Er ist, wie

soll ich sagen – ein bisschen euphorisch.”

      Sogar einen Titel hat Colley Cibber für das Werk schon,

An Apology for the Life of Mr. Colley Cibber. Der Alte,

ein Übervater, ein Erzeuger, in der Familie nie anwesend,

wirft einen mächtigen Schatten auf sie alle, vor allem

auf den Sohn, auf Theo Cibber.

      Aber der tut alles, um aus dem Schatten des Vaters

herauszutreten. Er rückt sich, es ist Catherine Brown peinlich,

mit allen Mitteln selbst ins Licht der Aufmerksamkeit,

und das auf der Bühne wie im Leben.

      „Meine Freundin Lady Mary hat euren Bruder gesehen”,

sagt Margaret, als lese sie Catherines Gedanken. „Sie war in Gesellschaft im Drury Lane Theatre, bei Love for Love.”


Sie hat genug gehört 

„Oh”, sagt Catherine. Sie will nichts hören. Sie hat genug

gehört. Erst vor Jahresfrist hat Theo Cibber diesen

Prozess angestrengt, bei dem Papa in den Zeugenstand

getreten ist. Um Geld geht es andauernd bei Theo

Cibber, überdies hier noch um Schadenersatz für sein angebliches Ungemach als Ehemann.

      Theo Cibber hat Susanna Arne geheiratet, die Sängerin,

die rasch zu einer der begehrtesten Schauspielerinnen am Drury

Lane Theatre aufgestiegen ist. In Shakespeares Measure

for Measure hat sie letzte Saison die Isabella gespielt, mit James

Quin als The Duke, der um ihre Hand anhält.

      Am Drury Lane Theatre regiert jetzt Theo Cibber,

er ist in Papas Fussstapfen getreten, er spielt in den Komödien

jetzt Papas Rollen. Aber Theo Cibber ist ein Spieler,

und er hat sich bös verschuldet.

      Er bringt seiner Ehefrau einen ihrer Verehrer nach Hause,

er drängt Susanna Cibber sich mit ihm einzulassen.

Erst spielen die zwei Backgammon, dann schlafen sie miteinander.

Und Theo Cibber knöpft dem Besucher regelmässig Geld ab.

      Der Liebhaber heisst William Sloper. Er ist der Sohn des Parlamentsabgeordneten William Sloper, auch er Premierminister Walpoles Freund. Slopers Vater, ein Whig, nennt ebenfalls

ein gediegenes Haus am St. James Palace sein eigen,

dazu Familienbesitz in Berkshire.

      „Oh”, sagt Catherine und zuckt die Schultern, obwohl sie es

besser weiss. „Im Augenblick ist alles ruhig an der Front.”


Als Farinelli in Venedig bei uns verkehrt

„Alles ruhig?” Margaret blickt äusserst skeptisch,

das entgeht Catherine nicht. „Manchmal wünschte ich, es wäre so.

Aber lang halt ich’s nicht aus. Ich kann mir nicht

verkneifen zu sagen, es wäre langweilig.”

      Und dann, hüstelnd und mit vorgerecktem Kopf:

„Das mit Farinellis Kopf kennt ihr?” Catherine schüttelt den Kopf.

Sie ist gewarnt. Carlo Broschi, genannt Farinelli,

der Starkastrat! Er ist bei Philip V. im Feindesland untergekommen, zum Mondkalb mutiert.

      „Damals”, sagt Margaret, „als Farinelli in Venedig noch

bei uns verkehrte, spazierte er eines Tages bei mir rein. Ich

schrieb gerade einen Brief an den Botschafter in Turin,

William Capell, den 3rd Earl of Essex. Farinelli bat mich ihm

seine Grüsse zu bestellen.

      Er sagte, er hoffe, der Botschafter hätte nicht vergessen,

den Kopf an die Person zu schicken, die ihn bekommen sollte.

Und dann sagte Farinelli noch, das sei ein Geheimnis.

Mehr wollte er dazu aber nicht sagen.”

      Farinelli? Catherine spürt in der linken Brust einen Stich.

Einen Kopf? Und plötzlich denkt sie: Ist das Händel,

den Farinelli meint? Händels Kopf, auf dem Silbertablett des

Botschafters? Aber wer soll Händels Kopf bekommen,

wenn nicht Margaret Brown?

      Catherine sagt: „Ihr kennt Farinelli besser als irgendwer.”

Aber jetzt wechselt Margaret auf einmal das Thema und sagt:

„Ich hab gehört, euer Bruder will gegen Sloper noch

einmal vor Gericht.”

      Catherine zuckt die Schultern, diesmal sagt sie, auch wenn

sie weiss, es stimmt nicht: „Da wisst ihr anscheinend

mehr als ich.” Sofort ist sie bei ihrem Bruder, dem smarten Grimassenschneider, und bei dem kurzfristigen Kalkül,

mit dem Theo Cibber sich durchs Leben mogelt.


Theo Cibber, wie er real life auftritt  

Zwar hat sich für Theo Cibber die Sache mit seiner Ehefrau

und Sloper vorerst recht gut angelassen, aber plötzlich

werden die Karten neu gemischt und die Partie sieht anders aus. Susanna Cibber wechselt die Seite, sie verbündet sich

mit Sloper, und Theo Cibber verklagt Sloper wegen Criminal Conversation, und Conversation meint in dem Fall

Geschlechtsverkehr oder Intimitäten, kurzum Ehebruch.

      „Meine Freundin Mary, ich meine –” lächelt Margaret

und bricht ab. „Übrigens, ihr hat Love for Love gefallen. Aber das Theater, eigentlich ist  das nichts gegen Theo Cibber,

wie er real life auftritt. Er verklagt Sloper jetzt angeblich auf Schadenersatz.”

      Catherine sinkt innerlich zusammen. Schadenersatz!

Als hätte sie nicht den Prozess noch im Nacken, bei dem es um Ehebruch gegangen ist. Catherine sagt: „Wir haben zuviele Schauspieler in der Familie.”


Worauf Männer doch stolz sind  

Und Margaret sagt: „Ich verstehe nur nicht, was sein Schaden

sein soll, wenn er Geld dafür nimmt, dass seine Ehefrau

mit Sloper schläft.” Ruhig sagt Catherine: „Theo ist verrückt. So

ist das. Aber andauernd bin ich es, die sich für meine

Familie entschuldigt.”

      Und dann, plötzlich doch genervt: „Jetzt schreibt Papa

ein Buch, packt seine ganze schmutzige Wäsche aus und

nennt das An Apology for the Life of Mr. Colley Cibber.”

      Aber Margaret klatscht vor Vergnügen in die Hände.

„Ich sehe, ich muss ein neues Bücherregal in die Bibliothek

stellen, für die Werke der Cibbers, angefangen mit

The Tryal of a Cause for Criminal Conversation, diesem hübschen, kleinen Buch mit all diesen Schweinereien drin. Ich

find’s einfach erfrischend offenherzig.”

      „Erfrischend offenherzig?” Catherine richtet sich mühsam auf.

„Ich denke, ein wenig zugeknöpft wäre Mrs. Cibber lieber.”

Aber Margaret lacht. „Sir Robert sagt immer, Criminal Conversation

ist ein Tatbestand. Aber was ist ein Tatbestand, wenn

es um das Geschlecht geht? Ein Ehebruch ist ein Ehebruch.

Nur hab ich nie begriffen, weshalb Frauen sich für etwas

schämen sollen, worauf Männer stolz sind.”


Bis zur Verschwendung  

Der erste Prozess ist am Morgen des 5. Dezember 1738

ab neun Uhr in der Westminster Hall, wo der Court

of the King’s Bench zu tagen pflegt, über die Bühne gegangen.

Das Gericht beschliesst ausdrücklich kein Protokoll

der Sitzung zu erstellen, aber ein Zuhörer, der anonym bleibt,

hat im Gericht ein Protokoll erstellt, heimlich.

      Und das wird mit abgekarteter Promptheit als Booklet

auf den Markt geworfen, gedruckt von Thomas Trott, zweiunddreissig Seiten, die sich ausgezeichnet verkaufen, The Tryal of

a Cause for Criminal Conversation, zweiunddreissig Seiten, die Susanna Cibber zum Klatschthema für Frauen, Ladies

wie Dienstmädchen, und zum Stoff für Männerfantasien machen.

      Colley Cibber, zur Ehe seines Sohnes befragt,

sagt in dem Protokoll: „Ich war nicht bei der Hochzeit. Ich war

gegen die Partie.” Frage: „Warum waren Sie gegen

die Partie?” Colley Cibber: „Weil sie kein Vermögen hatte.”

      Frage: „Schienen sie zuerst glücklich miteinander zu leben?”

Colley Cibber: „Sie lebten glücklich, sehr glücklich, viel glücklicher

als ich erwartet hatte, als ich mich gegen die Partie stellte.”

      Frage: „Wie lange lebten sie glücklich miteinander?”

Colley Cibber: „Ungefähr drei Jahre. In dieser Zeit hatten

sie zwei Kinder, die beide tot sind.”

      Frage: „Hat Mr. Cibber, der Kläger, sie während dieser

Zeit gut und bereitwillig unterstützt, wie es sich für einen liebevollen Ehemann gehört?”

      Colley Cibber: „Das hat er, bis zur Verschwendung. Ich hab

ihn deswegen oft ermahnt. Ich riet ihm bei den Ausgaben

sparsamer zu sein, denn sie schienen mir viel zu hoch für seine Situation oder was er sich leisten konnte. Er machte ihr

mehrere teure Geschenke, Ringe und Juwelen.”


Zwei Zimmer, sieben Shilling

Susanna Arne ist zwanzig, als sie 1734 Theo Cibber

heiratet, und auf der Bühne ist sie die blütenfrische Extravaganza,

eine Londonerin zudem.

      Sie tritt im Drury Lane Theatre zuerst mit Händel-Arien

in Entr’actes auf und konterkariert die Importstaffel italienischer

Stars, sie steuert auf eine grosse Karriere zu.

      Zwei Brüder hat Susanna Cibber, aus dem älteren ist

Thomas Arne geworden, der Komponist, Musiker, Dirigent.

Ehe sie ans Drury Lane Theatre kommt, singt sie in

einigen seiner Opernproduktionen die Hauptpartie. Sie macht die Aufführungen zum Erfolg.

      Vorgesehen ist das alles nicht. Thomas Arne studiert

in Eton Recht, ehe er sich der Musik zuwendet. Charles Burney

sagt: Er hat mir selbst erzählt, dass er bei seinem

Abgang aus Eton eine solche Passion für Musik hatte, dass

er das Privileg der Livrierten in Anspruch nahm, sich

eine Uniform auslieh und den Oberen Rang der Oper aufsuchte.

      Hier sind sie wieder, Parkett, Loge & Rang. Die Ordnung

der Welt greift auf die Bühne über, im Aufstieg von Susanna Arne

ist sie hinter der Bühne zu besichtigen. Ihre halbe Familie

bindet Theo Cibber ans Drury Lane Theatre, um nur ja ihr Jawort

zu erhalten.

      Der Heirat seiner Schwester verdankt es Thomas Arne,

dass er am Drury Lane Theatre Hauskomponist wird. Und es

ist seine neue Masque Comus, die Susanna Cibber mit

Quin und Kitty Clive gerade probt, als sie Sloper eines Mittags

warten lässt.

      Am Drury Lane Theatre hält Charles Fleetwood die

Aktienmehrheit, er hat sich das Patent gekauft, er ist der

Lizenzinhaber. Auch Fleetwood tritt vor Gericht auf.

Ihn erwähnt bei der Verhandlung Mr. Hayes, der als Zeuge

des Klägers auftritt, als Theo Cibbers Zeuge.

      Mr. Hayes ist der Ehemann der Hausbesitzerin.

Bei Mrs. Hayes hat Anne Hopson, Susanna Cibbers Dienstmädchen, zwei angrenzende Zimmer gemietet, Blue Cross Street,

Leicester Fields. Mrs. Hayes wohnt ein Geschoss tiefer,

sieben Shilling bekommt sie die Woche.


Er steckt sein Glied zwischen ihre Beine

Mr. Hayes sagt vor Gericht: „Als Mrs. Hopson die Wohnung

bei mir gemietet hatte, kamen Mr. Sloper und Mrs. Cibber oft zu ihr,

und sie pflegte sie dort jeweils für zwei oder drei Stunden

miteinander allein zu lassen.“

      „Sie verliessen das Haus regelmässig morgens um ein,

zwei oder drei Uhr mit der Kutsche oder Sänfte. Ich hab

auf demselben Geschoss eine Kammer, die an das Zimmer

angrenzt, in dem sie meist zu sitzen pflegten.“

       „Ich bohrte Löcher durch die Täfelung und konnte sie sehr

gut sehen. Er pflegte sie zu küssen und sie auf seinen Schoss

zu nehmen. Am 22. Dezember schaute ich hindurch.

Er nahm sie auf seine Knie, streifte ihr die Kleider nach oben,

schob seine Hose nach unten, nahm sein Glied in die

Hand und steckte es ihr zwischen die Beine.“

      „Am 12. Januar war ich ein Uhr mittags eingeschlossen

in der Kammer, er kam zuerst und er war wütend, weil sie nicht gekommen war, und er schickte Mrs. Hopson nach ihr

zu sehen. Ungefähr zwei Stunden später kam sie. Mrs. Hopson

ging weg und liess sie allein.“

      „In wütendem Ton sagte er etwas zu ihr über Mr. Fleetwood.

Sie sagte, sie wolle ihren Bruder aus seinem Haus

nehmen und Mr. Fleetwood zähle für sie dabei nicht.“

      „Er und sie versöhnten sich wieder. Sie setzten sich,

und er nahm sie auf seinen Schoss, entkleidete sie, machte

seine Hose herunter und steckte ihr sein Glied zwischen

die Beine.“

      „Ich stand dort länger. Zwischen fünf und sechs Uhr abends

bereitete er das Bett, sie legte sich hin, lag auf ihrem Rücken und entkleidete sich. Ihr Körper war nackt. Er knöpfte sich

die Kleider auf, hängte die Perücke an eine Wandleuchte, liess

seine Hose herunter, nahm sein Glied in die Hand und

legte sich auf sie hinauf.”


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Die Sängerin