Passagiere des Glücks weiter zurück
KRAZY KAT
Immer schon resistent für „dissonante“ Botschaften
sind die komischen Helden in Krazy Kat, den
populärsten und langlebigsten „Funnies“ in den USA.
Der Comic Strip wird 1944 eingestellt, nachdem
sein Autor George Herriman gestorben ist.
Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf
die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004.
„Du weißt noch nicht alles von mir“, sagt eine der zwei Mittdreißigerinnen, die mit Fahrrädern an diesem Frühsommertag
2001 vor dem Gartenlokal Schleusenkrug in Tiergarten
stehen. Drauf lacht die zweite Frau: „Ich weiß gar nix von dir.“
Was ist das? Ein beiläufiger, dem Dialogwitz entsprungener
Scherz? Ist’s nicht das Lachen der Freundin?
Es ist gemünzt auf die Beziehung, die sie beide miteinander
haben. Was die Frau erwidert, highlightet als gedankliches
Spielfeld „das geteilte Wissen“. Das ist, voller Ironie zwar,
der Gegenstand ihrer Kommunikation. Zwar geht’s dabei um „alles“ oder „nix“, aber genauso gut könnte das eine Finte sein,
mit der ihre Flapserei sich tarnt.
Was so tut, als werde die Grenzmarke zweimal verschoben,
die zwischen ihnen Nähe oder Distanz bedeutet, ist vielleicht
bloß Wortspielerei. Nicht ein Befremden wär’s in diesem Fall, was
in zwei luftigen Sätzen und einem Lacher sich artikuliert,
sondern das Gegenteil, die Vertraulichkeit nämlich.
Macht sie nicht den Spass der zwei Frauen aus? Was Frauen
„in erster Linie beieinander suchen, ist die Behauptung
der Welt, die ihnen gemeinsam ist. Sie diskutieren nicht über
Ansichten: Sie tauschen Vertraulichkeiten und Rezepte
aus“, hat Simone de Beauvoir in Le Deuxième Sexe 1949 zu Frauenfreundschaften notiert.
Sie lächelt nicht mal schief
Die Feststellung, dass Lachen mit Kommunikation zu tun
hat, ist so nahe liegend wie banal. Sobald wir aber das Inwiefern
zu erklären versuchen, sehen wir uns einer Vertracktheit
gegenüber, die mit Logik und Kausalität ihren Schabernack treibt.
Das Lachen scheint ein Subtext zu sein, ein Kommentar zum Gesagten. Aber das greift zu kurz.
Wir brauchen die Worte nicht um zu lachen. Manchmal
genügt schon ein Blick. Er sagt alles. Wir lachen. Welch
ein Anblick! Nur ist die Frage: Was transportiert das Lachen?
Wem gilt der Blick, der es begleitet. Denn genauso gibt
es Situationen, in denen einer partout nicht lacht.
Ein Paar im Kaufhaus. „Wie sehe ich aus?“, fragt der Mann,
der im neuen Anzug aus der Anprobekabine tritt. Er sieht
schrecklich aus. „Gut“, sagt die Frau. „Du siehst gut aus.“ Sie
lacht nicht. Sie lächelt nicht mal schief.
Hier verschwindet sie nicht, die Täuschung über die
Realität. Hier nimmt sie ihren Anfang. Ist die Frau deshalb zum
Lachen nicht bereit? Glaubt sie, was sie sagt? Ist es ihr
nicht wichtig? Hat sie einen Grund, dem Mann nicht zu sagen,
wie er aussieht? Belohnt er sie? Droht er sie zu bestrafen?
Der „Druck zur Dissonanzreduktion“
Was wir wahrnehmen, hat mit unserer Haltung, mit unserer
Einstellung zu tun. Darauf setzt eine der bekanntesten Theorien
der Sozialpsychologie, 1957 hat sie der Sozialpsychologe
Leon Festinger vorgestellt.
„Es gibt“, so können wir in seiner Theorie der kognitiven
Dissonanz nachlesen, „Umstände, unter denen Menschen
entgegen ihrer eigenen Überzeugung etwas tun oder aber öffentliche Erklärungen abgeben, an die sie in Wirklichkeit nicht glauben.“
Später schiebt Festinger die Bemerkung nach: „Nach einer öffentlich gegebenen Einwilligung erfolgt häufig eine anschließende Änderung der persönlichen Meinung.“
Bisher hatte man stets angenommen, Kommunikation
beginne mit einer Quelle, die einem Empfänger eine Botschaft präsentiert. Jetzt wird die Beziehung von Ursache und
Wirkung umgedreht: Kommunikation beginnt, wenn ein Empfänger
bei einer Quelle eine Botschaft sucht.
Aber Empfänger suchen nur nach Botschaften, die mit ihren Haltungen „konsonant“ sind. Sie schützen damit ihr eigenes persönliches Gleichgewicht. Sie suchen sich keine „dissonanten“ Botschaften aus. Was sie suchen, ist Bestätigung. Festinger
spricht vom „Druck zur Dissonanzreduktion“.
Officer Pupp, Krazy Kat & Ignatz Mouse
Immer schon resistent für „dissonante“ Botschaften sind die
komischen Helden in Krazy Kat, den populärsten und langlebigsten
„Funnies“ in den USA. Der Comic Strip wird 1944 eingestellt,
nachdem sein Autor George Herriman gestorben ist. 34 Jahre lang
hat der Cartoonist mit seiner Dreiecksgeschichte alles auf
den Kopf gestellt, was wir als die „Gesetze der Natur“ bezeichnen.
Mit Officer Pupp als Hund, Krazy als Katze und Ignatz
als Maus. Der Hund liebt die Katze. Und die Katze liebt die Maus.
Die aber wirft fortdauernd mit Ziegelsteinen nach ihr. Hier
in einer Folge, die Hallucination? heisst:
„Da ist er, der Schädling. Genau wo er hingehört“,
sagt sich Pupp, als er Ignatz sieht. Pupp steht auf der Strasse.
Und oben, am Fenster, ist Ignatz zu sehen. Hinter Gittern.
JAIL steht an der Hausmauer.
Befriedigt stapft „Offissa“ Pupp davon: „Ich hatte schon
Angst, es könnte nur eine Halluzination sein. Aber wenn
mein gutes altes Auge sich auf etwas gelegt hat, dann ist das Ding auch dort. Yes, Sir.“
Unterwegs trifft er Krazy. Die erzählt ihm: „Gerade eben
hat Ignatz Mouse mir einen Ziegelstein angeworfen – Offissa Pupp,
ist das nicht nett?“
Nein, Pupp versteht die Welt nicht mehr: „Eh?“ Zurück
zum Knast, sprachlos schaut der Gesetzeshüter hoch zum Fenster
mit Gitterstäben. Es ist leer. „Es war –“
Krazy liebt Ignatz. Es gehört zu Zauber und Poesie der Widersinnigkeiten ihres Dramas um Liebe und Zurückweisung,
dass Krazy die Ziegelsteine, die Ignatz ihr an den Kopf
wirft, als Liebesbotschaften versteht. In ihrem Masochismus
erwartet Krazy sie geradezu. So ist sie für die einen
das dümmste Tier, das je einen Comic Strip durchwandert
hat, für die anderen das Symbol einer reinen, letztlich
siegreichen, alles umfassenden Liebe.
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