Rike Mohaupt   weiter   zurück



ES MUSS NICHT SEIN



               Fritz Hirzel, Rike Mohaupt. Roman. Kapitel V


ZWÖLF UHR, SIE HAT GERADE AUFGEMACHT, STEHT

Stephen Wagoner in der Galerie an der Brunnenstrasse.

„Hi”, sagt er. „Ich muss mal nach dir sehen.” Rike Mohaupt hat

bereits den Rechner angeworfen, sie sitzt am Tisch, Arm abgewinkelt, Hand über der Schulter. Drei Meter vor dem Tisch bleibt er stehen,

langer Kerl, Businessanzug, Krawatte, winkt mit flachgehaltener

Hand, lächelt. „Hi”, sagt sie. „Well –” Sie öffnet die Hand. Sie sieht,

er strahlt. Sie steht auf. Hallo, denkt sie. Hat sie mit ihm letzte

Nacht ein Glas zuviel getrunken? „– was darf es dieses Mal sein?”

Er sagt: „Ja, es ist Zeit. Ich muss mal nach dir sehen.” Sie sagt:

„Da gibt’s nichts zu sehen. Es ist alles gesagt. Du weisst, es ist aus.”

Sie lacht abrupt. Sie sieht an sich herunter. Sie trägt das

Dunkelrote. Sie hebt die Hand. Sie betrachtet die Fingernägel.

Er sagt: „Du siehst gut aus, wirklich gut.” Sie blickt zu Boden.

Sie lächelt. Sie fährt mit der Hand durch das lockige, blonde Haar.

Sie sieht ihn an. Sie sagt: „Danke.” Und, nach einer Pause:

„Bist du acht Stunden geflogen um mir das zu sagen?” Er kratzt

sich. Er trägt die Haare länger, denkt sie. Er ist rasiert.

Er sieht sie an. Er kann charmant sein, das weiss sie. Er sagt:

„Ich bin acht Stunden geflogen um – Es tut mir leid,

das will ich sagen. Es tut mir schrecklich leid. Ich hab nachgedacht.

Es war mein Fehler, es war alles mein Fehler. Ich bedaure,

was ich gesagt hab. Ich liebe dich. Ich hab noch nie jemanden so

geliebt wie dich.” Nein, denkt sie. Jetzt nicht das. Sie schüttelt

den Kopf. Sie sieht, er hat Tränen in den Augen, das hat er noch nie

gehabt, Tränen in den Augen, Tränen, die er mit dem Handrücken

abwischt, Tränen des Verlusts, Tränen der Erpressung. Das ist nicht

wahr, denkt sie. Das kann nicht sein. Sie blickt zur Seite. Sie wird

richtig wütend. Sie sagt: „Du sagst, es tut dir leid? Moment, weisst du

überhaupt, wovon du redest? du hast mich gesehen, 14th Street,

morgens um neun, mit einem Typen, deine Worte, nur hast du

geschwiegen, hast mich beobachtet, sechs Wochen lang, hast mich

bespitzelt, deine Eifersucht, du sagst, es tut dir leid? du hast mich

eingeschnürt, dein Schweigen, und jetzt? jetzt schnürst du mich schon

wieder ein, dein Geständnis, deine Liebe.” Sie ist heftig geworden,

eindringlich. Sie lässt los. Sie glaubt, sie holt zu weit aus.

Es ist aus, ihr Aufwand ist zu gross. Sie zittert. Aber da ist mehr.

Sie glaubt, sie ist im Vorteil. Der verlassene Mann. Er sieht schlecht

aus, was er auch tut. Sie holt das Lächeln der Siegerin auf

ihr Gesicht. Sie ist gegangen. Sie hat gehandelt. Er hat die Kontrolle

verloren. Er flennt um seinen Posten. La Vedetta del porto.

Der Hafenwächter. Sie stellt sich vor, sie ist für ihn alles. Der Hafen.

Die See. Das Schiff. Sie nimmt ihrer Stimme die Schärfe. Sie

sagt: „Aber da ist mehr, imgrunde – weisst du, da ist immer mehr,

im April, im Ristorante La Vedetta... imgrunde, weisst du, lagst

du da schon richtig.” Ist es das Gen der Selbstbehauptung, das sie

in sich trägt, das Gen der Selbstbehauptung, das sie bei ihrem

Urgrossvater zu erkennen glaubt? Es ist der Fussball, hört sie ihn

sagen, August Mohaupt, linker Verteidiger bei Hertha, ein

Stammspieler in der Arena, ein lokales Idol An der Plumpe in

Wedding, kommt von Pumpe, von Wasserpumpe, die

Plumpe, der Erbauer der Arena ist ein Wirt, ein Biergartenwirt wie

der Wirt der Krolloper, die mal dem Reichstag gegenüber

gestanden hat, ein Biergartenwirt, weit von Weinmarketing entfernt,

denkt sie, ist das nicht, es ist genau die Stelle, wo Kanzler

Schröder statt der Krolloper, der Arena der Moderne, einen Bolzplatz zulässt, auch das ist Fussball, auch das ist Fussball für die

Galerie, hört sie August Mohaupt jetzt sagen, von der Abwehr rasch

auf Angriff umschalten, das ist der Augenblick, in dem der

Gegner schlecht sortiert ist. Sie sagt: „Im April im Ristorante La

Vedetta. „Im April, im Ristorante La Vedetta... weisst du –

du warst nur einfach zu schnell mit deinem Verdacht, im April im

Ristorante La Vedetta... weisst du – du warst nur einfach

zu voreilig, zu voreilig mit deiner Angst.” Sie glaubt, ihr flattert die

Stimme. Sie räuspert sich. Sie fährt mit der Hand durch das

Haar. Sie sagt: „Weisst du – ich hab’s getan, du hast

recht bekommen, ich schlaf mit ihm, hier, in Berlin, mit ihm,

mit Fabio.” Eine Träne kullert ihr aus dem Auge. Sie

greift nach der Handtasche. Sie wischt die Träne ab. Sie nimmt

den Handspiegel hervor. Sie betrachtet ihren Lidschatten.


Stephen zuckt das Auge. Er sagt: „Er ist der Galerist.”

Stephen wirft den Kopf hoch. Er erfasst die Galerie in einem

Blick. Sie nickt. Er lacht. Sie sieht ihn an. Sie sagt: „Fabio

Calvani, ja. Er ist der Galerist.” Stephen steht da. Er sucht etwas

zurechtzurücken. Er fasst nach der Krawatte. Ein Geschenk

von ihr, weiss, beige, blau, schräg gestreift. Er schüttelt den Kopf.

Er sagt: „Ich hab dir nicht getraut. Es ist mein Fehler, alles

mein Fehler. Kannst du mir verzeihen?” Vergiss es, denkt sie.

Es muss nicht sein. Er dreht sich im Kreis. Das ärgert sie.

Ehrlich, sie will hier heraus. Sie hat eine Idee. Ist das

ein Verkaufsgespräch? denkt sie. Sie weiss nicht, was in sie

gefahren ist. Sie setzt ein Lächeln auf. Sie sagt: „Willst

du dir nicht die Ausstellung ansehen? Aufregende Plätze. Hier,

die Preisliste.” Er verblüfft sie. Er sagt: „Ja. Das ist das

nächste, was ich mir vorgenommen hab.” Er nimmt die Preisliste.

Malerei. Zwanzig Bilder. Öl auf Leinwand. Kleinformat.

Sie sagt: „Eine junge Britin.” Er sagt: „Eine junge Britin? Vielleicht

hat sie die Lösung.” Zu ihrem Werk, sagt die junge Britin,

inspirieren sie Besuche von Orten, die sie in Gefahr bringen,

stillgelegte Teile von Gebäuden, Strassen, Kanäle.

Die Bilder haben Namen. Teichwasser, Ölfass, Süsse Nische.

Liebesfleck, Dachrinne, Leuchtturm. Der Titel der

Ausstellung – Aufregende Plätze – ist von Vivian Kretschmar.

Das hat Fabio ihr erzählt. Er ist die sehr freie Übersetzung

von Places that put me in danger. Ihr Ex, denkt Rike. Dass er heute

in der Galerie steht, damit hat sie nicht gerechnet.

Aufregende Plätze? Hat sie zuviel versprochen? Sie denkt

nicht. Sie stellt sich vor, sie ist die Spinne im Netz,

er ist die Fliege. Er geht von Bild zu Bild. Wie ein Freier, denkt

sie, wie ein Freier bei Strassenmädchen. Das Bild ist

die Botschaft, der Kauf die Entscheidung. Er nimmt Leuchtturm,

denkt sie. Das ist das, was er braucht. 27 auf 32 cm.

Er steht vor dem Bild. La Vedetta del porto, denkt sie. Der Hafenwächter. Er hat die Kontrolle verloren. Er sucht

ein Instrument. Das Bild ist sein Ticket zu ihr. Er sagt: „Das ist es.

Das hier.” Leuchtturm. Sie nickt. Sie sagt: „Ein guter Kauf.”

Sie blickt auf das Bild. Er sagt: „Ich weiss.” Sie sagt: „Wir nehmen

auch American Express.” Er gibt ihr seine Kreditkarte.

Sie geht zum Tisch. Sie bucht den Kaufpreis von der Karte ab.

Sie lächelt. Sie zupft eine Haarlocke zurecht. Sie sieht ihn

an. Sie gibt die Karte zurück. Er steckt sie ein. Sie sagt: „29. August

ist die Finissage Party. Soll ich das Bild schicken? oder

kommst du es holen?” Er überlegt nicht eine Sekunde. Er sagt:

„Ich komme es holen.” Sie stellt sich an die Tür, die offen

gestanden hat die ganze Zeit. Er tritt auf die Strasse.

Er dreht sich nach ihr um, winkt mit flachgehaltener Hand, lächelt.

Sie textet im Kopf schon die SMS, die sie an Fabio schickt:

Für 3000 Mäuse an Ex verkauft. Sie geht zurück in die Galerie,

sie setzt sich wieder an den Rechner, aber sie weiss nichts

Rechtes anzufangen, sie weiss nur, sie ist unterbrochen worden,

und nach einer Weile entnimmt sie der Handtasche, die sie

neben den Tisch auf den Boden gestellt hat, ihr Handy, tippt die

noch immer im Kopf herumschwirrende SMS an Fabio ein und

schickt sie ab. Für 3000 Mäuse an Ex verkauft. Sie weiss, denkt sie,

auch nicht, was das bedeutet, sie ertappt sich dabei, wie sie

zur Tür blickt, die sie offen gelassen hat, erwartungsvoll, als müsste

jeden Augenblick Fabio zurück sein oder Stephen

nochmal über die Schwelle treten, weil er was vergessen hat,

irgendwie scheint die Zeit stehen zu bleiben, seit

er gegangen ist, sie denkt, sie sitzt in der von Geräuschen,

Stimmen und Verkehr des Strassenlebens umspülten

Galerie wie auf einer Insel, und als sie das Handy ergreift und

nach einer Stunde nachsieht, ob eine Antwort gekommen

ist, stellt sie fest, dass Fabio nicht reagiert hat. Stattdessen ist da eine

Nachricht, mit der sie nicht gerechnet hat, ein Faden, über

den Atlantic Ocean gespannt, unglaublich, das Netzwerk einer

Spinne, eine SMS, in der Annie Wanamaker, ihre

Jugendfreundin, aufersteht, die sie an jenem frühen Morgen

an der 14th Street getroffen hat: Wracked File from

Megalopolis. Nur ganz kurz. Hab jemanden getroffen. Hat mich

versetzt. War echt sauer. Dann haben wir so gelacht. Er ist

so lieb und süss. Und weisst du was? Er hat einen Erdbeermund.

Rike denkt, Annie Wanamaker ist anschmiegsam, sie hat

immer einen festen Freund gehabt, im College schon, einen nach

dem anderen.



                                   Einstein lebt nicht mehr hier.

Samstag, 27. Mai 1933. Der Mai ist in Berlin oft besonders

schön, auch dieser Mai. August Mohaupt macht den

Hitlergruss. Er grinst. Er blinzelt in die Mittagssonne. Er denkt,

er ist nicht auf Augenhöhe mit der Strasse. Er hat Hunger.

Es ist zwölf Uhr. Er wartet vor dem Haus auf dem Bürgersteig.

Das Genie, denkt er, das Genie Ist weg. Er blickt hinüber.

Haberlandstrasse 5. Haustür mit Bogen. Balkone. Hohe Fenster.

Markisen. Turmzimmer. Dachgiebel. Es heisst, Albert

Einstein ist auf Vortragstournee. Es heisst, er ist in den USA.

Es heisst, er bleibt in den USA. Mohaupt blickt hinüber. Haberlandstrasse 5. Der Haustürbogen, die Balkone, hohe

Fenster, einzelne, herabgelassene Markisen, das

Turmzimmer, der Dachgiebel, gezogener Vorhang. Mohaupt

hat gehört, sie suchen einen Hauswart. Er kennt den

Verwalter. Er kann das, sagt er. Er kann das auch noch machen.

Er bewirbt sich um die Stelle, obwohl er weiss, es hat nie

einen Hauswart gegeben Haberlandstrasse 5. „Warum jetzt?“

fragt er. „Einstein lebt nicht mehr hier”, sagt der Verwalter. „Es ist

zum Schutz seines Haushalts.” Mohaupt hat den Eindruck,

hier wird ein Haushalt an seinen Eigentümer teuer verkauft. Seine Bewerbung wird abgelehnt. Er argwöhnt, ein Pg. bekommt

die Stelle, ein Parteigenosse. Er ärgert sich. Er entschliesst sich.

Er tritt der Partei bei. Alle treten der Partei bei. Er reicht die Beitrittskarte ein. Aber daraus wird nichts. Es heisst, er kommt zu

spät. Es heisst, sie haben zu viele Mitglieder. Da erfährt

Mohaupt, er hat sich geirrt. Der Mitbewerber, der die Hauswartstelle Haberlandstrasse 5 bekommt, heisst Hirsch. Er ist alles

andere als ein Parteigenosse.


Motorenlärm zerreisst die Mittagsruhe. Zwei offene Lastwagen

fahren vor. Vor dem Haus Haberlandstrasse 5 halten

sie abrupt. Der erste Motor erstickt, fast zeitgleich der zweite,

Männer in Stiefeln springen ab, SA-Männer. Der

Truppführer, ein Dickwanst, steigt aus dem Beifahrersitz herab.

Er fuchtelt ein Papier durch die Luft. Er brüllt: „He, Sie da!

Hausdurchsuchung! Hier, Durchsuchungsbefehl!” Mohaupt ruft:

„Ich hab nichts zu tun mit dem Haus.” Der Truppführer,

ein dreckiges Laches im Gesicht, wirft die Wagentür zu. Er steckt

das Papier ein. Die Männer sind bereits im Haus

verschwunden. Sie stürmen die Wohnung, die sich zuoberst

befindet, die Wohnung von Einstein. Sie schaffen

Möbel herunter, Bilder, Teppiche, Radio, Geige, Geschirr,

Kleider, Hüte, Vorhänge, Wäsche, Bücher, Silber,

technische Zeichnungen, Briefe, Akten. Sie plündern, denkt

Mohaupt. Er blinzelt in die Mittagssonne. Er ist auf

Augenhöhe mit der Strasse.


Mohaupt hat die zwei Frauen gar nicht kommen hören.

„Dann müssen Sie der Hauswart sein”, sagt die Schauspielerin.

Ihr zur Rechten, den Arm untergefasst, steht die Begleiterin,

einen Kopf grösser als sie. Die Begleiterin sagt: „Wir kommen die

Wohnung anschauen.” Er kratzt sich. Er sieht sie an. Erst

die eine, dann die andere. Er holt den Schlüsselbund hervor.

Er fasst sich. Er sagt: „Hier ist gerade – verzeihen Sie,

hier drüben, meine ich, aber das sehen Sie ja selbst –” Er schluckt.

Er denkt, die Kunst des Hauswarts besteht darin sich

unsichtbar zu machen. Er lässt sie eintreten. Die Schauspielerin

sagt: „Glauben Sie, wir sehen nicht, was hier los ist?” Sie gehen treppauf. Er schliesst die Wohnung auf. Sie treten ein. Er geht zum

Fenster. Unten stehen die Lastwagen. Vollbeladen. Sie fahren

gerade ab. Er denkt, er wird ihn nie mehr erzählen können, den Witz

von Einstein, der in Begleitung am Sonntag im U-Bahnhof

Bayerischer Platz erscheint. Der Zug fährt ein, der Schaffner erspäht

das Genie und ruft: Einstein! Alles Einstein! Die Begleiterin

der Schauspielerin steht hinter ihm. Sie sagt: „Grauenhaft.” Die

Schauspielerin flennt leise vor sich hin. Die Begleiterin

umarmt sie. Die Schauspielerin sagt: „Unerträglich.” Die Begleiterin dreht sich nach Mohaupt um. Sie sagt: „Verzeihen Sie, aber –

mir ist nicht mehr nach Wohnung anschauen.” Hinter ihr stampft die Schauspielerin auf. Sie hat Stiefel an, Stiefel mit Absätzen.

Es widerhallt. Das Parkett. Die leere Wohnung. Sie lacht abrupt.

Sie sagt: „Sei vernünftig, Olly. Die Wohnung kann nüscht

dafür.” Die Schauspielerin geht voraus, Zimmer um Zimmer. Sie

schreitet, denkt Mohaupt. Sie ist die Königin. Sie ist

das Kraftbündel. Die Begleiterin folgt. Er bleibt zurück. Er wartet

vorne an der Tür. Er hört, wie die zwei Frauen tuscheln.

Es hört sich an, als küssten sie sich. Er hört, wie die Schauspielerin

sagt: „Unser herrliches Heim.” Als sie zurückkommen,

sagt sie: „Schön. Sehr schön alles.” Die Begleiterin fragt:

„Wieviele Zimmer sind das?” Er sagt: „Siebeneinhalb.”

Die Schauspielerin sagt: „Wir haben Antiken.” Er steht da. Er nickt.

Die Begleiterin sagt: „Und tausendachthundert Bände

Bücher.” Er steht mit den zwei Frauen an der Wohnungstür.

Die Schauspielerin sagt: „Waldoff. Ich bin Claire

Waldoff.” Er sagt: „Mohaupt. August Mohaupt. Angenehm.”

Die Begleiterin sagt: „Von Roeder. Olga von Roeder.”



                                   Die Tür zur Brunnenstrasse steht

offen. Aus einem Autoradio dröhnt stampfende Musik,

augenblicklich unterbrochen von Meldungen über Stau und

Wetter, es bleibt trocken, Temperaturen nachmittags

bis 29 Grad. Die Finissage Party zur Ausstellung Aufregende

Plätze ist für einen Samstag geplant. Rike Mohaupt sitzt

vor der Website der Galerie. Sie blickt auf. Der Raum ist leerer

als sonst. Sie hat den Eindruck, Stephen Wagoner

hinterlässt eine Lücke. Es ist bald sechs Stunden her, seit

er gegangen ist. Er hat nicht angerufen. Er ist nicht

zurückgekommen. Ihr Ex, der sie so liebt. Andere Besucher

hat Rike an diesem Nachmittag nicht gehabt. Vermisst

sie Fabio Calvani? Er hat auf ihre SMS geantwortet: Hast du noch

mehr solcher Ex? Rike wartet auf Vivian Kretschmar,

die gerade angerufen und mitgeteilt hat, dass sie sich verspätet.

Das wird ein richtig schöner Abend, denkt Rike.

Vivian fährt mit ihr zum Schlachtensee, zum Spargelessen

in die Alte Fischerhütte.


Sexy, stylish & ganz in Weiss steht über der Karte,

die eine Kellnerin Rike reicht, als die beiden Frauen an einem

gedeckten Tisch auf der Terrasse Platz genommen

haben. „Der Berliner isst seinen Beelitzer Spargel gerne

mit einem Stück Fleisch”, sagt Vivian, die nach Berlin

geheiratet hat, aber aus Nordrhein-Westfahlen kommt. Rike

bestellt zum Spargel Fisch. „Sag mal, hast du diesen

Steamboat mal zu Gesicht bekommen?” fragt sie, und Vivian,

den Riesling Sekt in der Hand, sagt: „Er ist vom

anderen Ufer.” Sucht Rike etwas? Sie sitzt Vivian gegenüber,

Blick auf das längliche, in beidseitiger Waldung

verschwindende Gewässer.


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