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ERHÖHTE RISIKOFAKTOREN


Öfter mal passt Sinn für Humor ganz gut zu einem Lebensstil, der das Gesundheitsrisiko erhöht, nicht reduziert. Polizisten sind davor nicht gefeit. Eine Studie aus Finnland ergibt: Sie saufen halt. Und paffen.



               Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf

               die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004


Eine Autofahrerin stoppt mit dem Wagen in Brooklyn vor einem

Rotlicht. Als allerdings die Ampel wieder auf Grün

umschaltet, bleibt sie mit dem Wagen stehen, wo sie stehen

geblieben ist. Das Licht wechselt noch mehrfach,

aber sie bewegt sich nicht weg.

      Schliesslich geht der Verkehrspolizist zu ihr hinüber

und erkundigt sich höflich: „Was ist los, Lady? Haben wir keine

Farben, die Ihnen gefallen?”

      Eine Endmoräne des frauenfeindlichen Witzes? Er taucht

unter dem Titel Traffic Light auf der Website basicjokes.com

am 23. Dezember 2001 auf. Ist, was die Pointe garantiert,

das Autofahren, das der Mann wie das Auto selbst als Statussymbol

für sich reklamiert?

      Eigentlich ist die Frau hier die Nichthandelnde. Wir erfahren

nicht, was sie am Weiterfahren hindert. Die Ironie zieht der

Witz aus dem Geruch des Ortes, an dem der Wagen liegen bleibt.

Ein Stadtbezirk von New York City blüht auf als Geistesverfassung: Brooklyn! Aber darauf wollen wir nicht hinaus. Uns interessiert

die handelnde Person. Der Polizist.


Eigensicherung  diagnostiziert

Ist es hilfreich, wie er die Situation angeht? Zeigt er „gelassene Wachsamkeit”? Wie lebt so einer, wenn der Dienst

vorbei ist? Ist er auch da eine „Überlebenspersönlichkeit”? Für

die gilt, folgen wir polizeilicher Gefährdungsoptik:

      „Man darf weder zu wenig aktiviert sein, noch darf man durch

Angst oder Ärger überaktiviert sein. Man braucht bezüglich

der Eigensicherung z. B. eine gelassene Wachsamkeit, um dann

auf die entscheidenden Reize sofort reagieren zu können.”

      Gemeint ist der Sondereinsatz, nicht die Alltagroutine.

Aber lässt sich das immer auseinanderhalten?

Um „Wahrnehmungsprozesse von ‘Überlebenspersönlichkeiten’”

geht es hier, „Intuitive Prozesse bei der Eigensicherung”

ist der Beitrag betitelt.

      Den schreibt Uwe Füllgrabe, ein Psychologieoberrat,

in Deutsches Polizeiblatt 2/2004. Das widmet sich einem einzigen Thema: „Bewältigung polizeilicher Lagen (Teil 2)”.

      Nicht Angst, nicht Wut, nicht Schlendrian: Was die

„Eigensicherung” braucht, ist ein richtiger Grad an Aktiviertheit!

Aber davon, wie sowas mit Humor zusammengeht, ist

nicht die Rede.

      Der „Überlebenspersönlichkeit” haftet etwas Weibliches

zumindest in Frageform an: „Haben Frauen eine bessere Intuition?”

Das ist der Einstieg, mit dem Uwe Füllgrabe den Beitrag

beginnt.


Automatisch observiert  

In der Freizeit, wenn Dagmar W. mal mit einer Freundin im

Café sitzt, observiert sie die Umgebung, taxiert die

anderen Besucher und registriert, falls einer sich verdächtig

benimmt. „sowas läuft ganz automatisch ab,

auch im Privaten”, sagt die 42jährige im Tagesspiegel vom

6. Mai 2004.

      Sie ist Polizeioberkommissarin in Berlin. Und arbeitet als

Kommandoführerin beim Personenschutz. Sie sagt auch: „Jeder Tag, an dem nichts passiert, ist ein erfolgreicher Tag.” Ist das

eine Konditionierung? Und wie verträgt sich die mit Lachen?

      Noch ist nicht gesagt, dass besser lebt, wer Humor hat.

Nicht einmal, dass er derjenige sein wird, der überlebt. Im Falle eines Falles. Im Alltag. In der Zeitspanne seines Lebens.

      Möglich, dass „Eigensicherung” auch im Umgang mit einem Falschparkierer von Nutzen sein kann. Dass richtig handelt, wer auf Stress mit Lachen zugeht. Dass Lachen „die beste Medizin”

ist, wie Hausapotheker des Humors versichern.


Humor. Und Gesundheit.  

Da liegt nahe, dass die Frage, auf die sowas hinausläuft,

viel zusehr vereinfacht: Stärkt Sinn für Humor die

körperliche Gesundheit, das Wohlbefinden bei der Arbeit?

      Dem ist bei 34 Polizisten in Ostfinnland eine Studie

nachgegangen, allerdings 1995 und 1998 bereits. Und was an

der Universität Joensun beginnt, endet an der University

of Western Ontario.

      Paavo Kerkkänen, Nicholas A. Kuiper und Rod A. Martin

haben die Studie schliesslich veröffentlicht in Humor, erstes Quartal 2004: Sense of humor, physical health, and well-being at work:

A three-year longitudinal study of Finnish police officers.

Die zwölfseitige Arbeit hat lange auf Eis gelegen. Das Ergebnis ist

alles andere als ermutigend.

      Was ist geschehen? Die Forscher haben bei Polizisten

Daten erhoben. Blutdruck, Cholesterin, Grösse, Gewicht. Das misst eine Krankenschwester. Paavo Kerkkänen trifft die Polizisten

zweimal. Er befragt sie zu Gesundheit (Rauchen, Alkohol), Wohlbefinden am Arbeitsplatz (Burnout, Zufriedenheit, Stress, Arbeitskapazität) und Sinn für Humor.

      Er benutzt standardisierte Testverfahren: Multidimensional

Sense of Humor Scale MSHS, Workplace Well-Being Index WPWBI, Cardiovascular Risk Index CRI, Body Mass Index BMI. Was herausschaut, ist ein Mangel an Support für die Hypothese, Sinn für Humor ginge einher mit körperlicher Gesundheit, mit

Wohlbefinden bei der Arbeit.

      Im Gegenteil: „Bemerkenswert sind die positiven Assoziationen,

die zwischen einigen Werten beim Sinn für Humor und

mehreren gesundheitlichen Risikofaktoren wie erhöhtem Rauchen

oder Alkoholkonsum festgestellt wurden.”

      Ein Vorurteil springt aus dem Kasten: Saufen halt, die Finnen!

Und paffen! Öfter mal passt Sinn für Humor ganz gut zu

einem Lebensstil, der das Gesundheitsrisiko erhöht, nicht reduziert.

      Der MSHS-Test hat die 34 Polizisten mit Statements

konfrontiert, die sich um Erzeuger und sozialen Gebrauch von

Humor drehen: “Andere Leute sagen mir, ich sage lustige

Dinge”, “Humor ist etwas, mit dem ich meine Freunde unterhalte”,

“Ich kann eine Gruppe mit Humor tatsächlich etwas

kontrollieren”, “Ich kann eine Situation entspannen, indem ich etwas Lustiges sage”.

      Zu vierundzwanzig solchen Statements haben die

Polizisten Zustimmung oder Ablehnung geäussert. Wer „stimmt

ganz und gar nicht” sagt, erhält einen Punkt, wer „stimmt

voll und ganz” sagt, erhält fünf Punkte. Aber daraus wird nichts.

      Das Punktetotal der Polizisten lässt keine Signifikanz

erkennen. Hat Paavo Kerkkänen ein zu grobmaschiges Fangnetz ausgeworfen? Ist die Multidimensionale Sinn-für-Humor-Skala

nicht multidimensional genug? Oder liegt am Ende der Haken darin, dass Psychologen das Lachen in positive und negative

Formen unterteilen?


Amtsrichter Marsollek quittiert Lachen  

„Das Lachen war erst bei ihr an der Wohnungstür zu hören”, sagt Polizist Carsten H. „Mich hätte es nicht gestört.” Er hat die

Anzeige gegen Barbara M. aufgenommen. Die steht jetzt vor Gericht.

      Und ein B. Z.-Reporter macht sich Notizen, als Amtsrichter

Hans-Jürgen Marsollek sagt: „Ihnen wird vorgeworfen,

am 15. 12. 2003 von 18 bis 22.30 Uhr ruhestörenden Lärm verursacht bzw. zugelassen zu haben. Art des Lärms: Lautes Lachen

bei einer Feierlichkeit. Tatfolge: Störung der Ruhe.”

      Die 47jährige ist selbständige Hausverwalterin. Zum

Essen hat sie sieben Kollegen und Architekten eingeladen.

Über Bauprojekte reden sie, über Baumängel. Bald wird

es lockerer, sie lachen auch, worüber weiss sie nicht mehr.

      Steglitz, Rothenburgstrasse: ein Backsteinbau, viertes

Obergeschoss. Eine Etage tiefer wohnt Bernd F., fünf Jahre älter

als sie. Er ist der Nachbar, der die Polizei ruft und Anzeige

erstattet, nicht zum ersten Mal.

      Das Bezirksamt verhängt zwanzig Euro Bussgeld. Barbara

M. legt Widerspruch ein. Montag, 26. April 2004 ist ihr Termin: Saal 3115, Amtsgericht Moabit. Sie muss die zwanzig Euro

Bussgeld nicht zahlen.

      Amtsrichter Hans-Jürgen Marsollek verkündet das Urteil:

„Schreien und laute Musik kann man verbieten, aber Lachen nicht.

Das ist ein allgemeines Lebensgeräusch wie Weinen.

Verfahren eingestellt.”


Keine Farben, die der Lady gefallen

Was aber steckt hinter dem Witz mit der Autofahrerin in Brooklyn?

Ihr Wagen bleibt vor der Verkehrsampel stehen, obwohl

die Farben mehrfach wechseln. „Was ist los, Lady?”, fragt der Polizist. „Haben wir keine Farben, die Ihnen gefallen?”

      Der Witz des Witzes ist, dass der Polizist selbst

mit den Farben ein Problem hat. Nicht selten sieht seine

Nachbarschaft aus wie im Bevölkerungsprofil, das

Demokraten im Wahlkampf 2000 für einen Stadtteil in Brooklyn erstellen: 81 Prozent Schwarze, 6 Prozent Weisse,

5 Prozent Hispanics, 3 Prozent Puertorikaner, 2 Prozent Asiaten.

      „Wegen Ihnen”, schreit der Verhaftete, „werde ich

Wiedergutmachung bekommen.” Detective Carl McLaughlin

reagiert drauf mit Lächeln: „Ich auch. Ich bin schwarz.”

      Er arbeitet im 67. Polizeirevier in Brooklyn. „Es ist wirklich

hart jetzt. Jeder kann sagen: ‚You Fuckin’ Cops, You Fuckin’ Cops.

Ich bezahle Eure Löhne.’ Du solltest in einer und derselben

Minute Doktor, Psychiater, Bad Guy und Good Guy sein.

      Du solltest Verständnis haben für die Not des schwarzen

Mannes, die Not der Frauen, die Not der Schwulen,

du solltest niemanden verpissen und deinen Job nicht verlieren.

Alles im Verlauf eines Tages.”

      Ob die Polizei Jagd auf Schwarze mache, fragt Heather

MacDonald, die Reporterin. „Ich mache Jagd auf Leute, die Jagd

auf andere machen”, sagt Carl McLaughlin. „Mit Rasse

sollte das nichts zu tun haben.”

      Es ist Sommer 2002, als City Journal, das Vierteljahresmagazin,

in dem die Polizei sich selbst darstellt, die Geschichte

veröffentlicht. Darin bestreiten die Polizisten rundweg, was

ihnen als „racial profiling” vorgeworfen wird: Dass sie

hauptsächlich auf Farbige losgehen.


Humor. Sich auf den Arm nehmen.  

Der Titel, mit dem City Journal die Geschichte aufmacht,

wirkt defensiv: The Black Cops You Never Hear About. Von

schwarzen Cops hören wir nie was? Das ist halb Report,

halb Medienschelte.

      Heather MacDonald bleibt am Thema dran, sie macht

draus ein Buch. Das veröffentlicht City Journal 2003, der Titel

heisst jetzt Are Cops Racists?

      Eigensicherung? Wachsamkeit? Auf entscheidende Reize

sofort reagieren? Was bedeutet sowas im 67. Polizeirevier, das

2820 Snyder Avenue, Brooklyn liegt?

      „Vergessen wir nicht”, sagt 1995 William J. Bratton,

nachdem Bürgermeister Rudolph Guiliani ihn im Vorjahr als

New York Police Commissioner eingesetzt hat: „Brooklyn

wäre die viertgrösste Stadt der USA, wenn es eine selbstständige Gemeinde wäre.”

      Das 67. Polizeirevier charakterisiert er beiläufig als

„eine weitere knallharte Nachbarschaft in Brooklyn”. Die erweist

sich für den Verbrechensbekämpfer als Fundgrube.

Die Bilanz des ersten Jahres weist hier 544 weniger Raubüberfälle

aus, was Spitze ist in der Stadt.

      Wie verträgt sich so ein Job mit Lachen? Im Herbst 1995

bringt City Journal den Bericht How to Run a Police Department.

Darin geht George L. Kelling an die dreistündige

Sitzung, die zweimal wöchentlich im Polizeikommando stattfindet:

      „Immer mehr Leute, einen Becher mit dampfendem

Kaffee in der Hand, füllen den Raum mit typischem Polizistengelaber, aggressivem Humor und sich auf den Arm nehmen.”


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Erhöhte Risikofaktoren