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ÜBER DIE ALLMEND
Fritz Hirzel, Über die Allmend, Magazin, TagesAnzeiger,
Zürich, 29. Mai 1976
Manchmal schon am Morgen, wenn eine Nachbarin ihre
Singstunde abhielt und das Gloriiia, Gloriia mir durch die Knochen
fuhr, bin ich hinausgerannt auf die Allmend. Ich bin mir heute
noch nicht sicher, was die staubigen Gehwege entlang der Sihl mir
eigentlich bedeuteten. Manchmal, an einer Böschung stehend,
hatte ich das Gefühl, ein Stück Land zu überblicken, das so geliebt
und so verachtet wird wie keines in der Stadt. Vielleicht war
es gerade dies, was mich auf die Allmend hinausgezogen hat. Oben,
im Flussbogen bei der Station Manegg, wenn ich die SIHL
PAPIER und die nebligen Rauchschwaden, die bisweilen über
den Fabrikanlagen hingen, hinter mir hatte, fand ich die
Reihenhäuschen geräumt und zugenagelt. Bei einem war die Tür
nur angelehnt, Glasscherben, Matratzenreste, kaputte
Kühlschrankteile lagen auf dem Boden, Spuren wie daneben,
wo die Pferdeställe leer standen, Boxe neben Boxe,
Zeuge des Gewesenen allenfalls. Eines Tages, als ich wieder
hinkam, war die Geistersiedlung abgerissen, plattgewalzt;
heute wuchert Gras darüber, verwildertes Staudengestrüpp,
Baumgeäst, zu Haufen gelegt, zu Brennholz; nur da und
dort schaut noch ein Mauerfundament hervor.
Schräg im Rücken hat die Sihltalbahn noch ihr Geleise,
ein roter Zug mit drei, vier Wagen, der fast geräuschlos, mit langem
Pfiff sich um die Kurve nähert, durch ein Gebimmel an den
Übergängen angekündigt. Darüber, wo die N3 sich in weitem Bogen
aus dem Sihltal schwingt, donnert ein Autotransporter,
zehn Kleinwagen auf seinen Trägern, Richtung Chur. Auf einer
militärischen Warntafel las ich, während aus den Hängen
die Petarden knallten, was für liebevolle Namen man diesem Land
einmal gegeben hat, bevor es zum Gelände wurde. Höckler,
Müsli, Gänziloo. Auch die Wege, die von Leimbach her der Sihl
entlang stadteinwärts führen, tragen Namen, die eine andere Geschichte anzudeuten scheinen. Links liegt die Zwirnerstrasse,
sie geht dem Wald entlang und ist befahrbar. Rechterhand,
hinter der Zimmerei LOCHER vorbei, zieht sich der Spulenweg,
der nach Regennächten völlig aufgeweicht sein kann. Im
Flussbett liegt das Wasser an Vorfrühlingstagen fast still, ist auch
sehr wenig zwischen allen diesen Steinen; es lässt sich
Zeit und tändelt noch ein bisschen vor sich hin. Zwei Buben in
Stiefeln stochern während der Schulferien versunken
drin rum, machen sich eine Welt nach ihren eigenen Gedanken.
Auf der linken Uferseite geht es, mit
Drahtverhau auf beiden Seiten, in die Schrebergärten.
Ein Arsenal von parzellierten Beeten und von Gartenhäuschen
drängt sich zusammen, eines hat ein Erfinderkopf noch
mit Kaminrohr ausgestattet. Das Tigerli sei schon geimpft und
soll nicht eingefangen werden, hat jemand auf eine Tafel
hingeschrieben, die sich wohl eher an Kollegen als an die Passanten
richtet. Noch an langen, kalten Regentagen, wenn die Allmend
ganz satt und dunkelleer aussah, habe ich einen einsamen Vater angetroffen, der mit dem Spaten etwas umzugraben hatte,
aus dem Transistor zur rinnenden Traurigkeit begleitet noch von
Radio Beromünster. Vorne, bei der Höcklerbrücke, öffnet
sich der Weg. An der Ecke, wo meistens einige Pkw parkiert
sind, giebeldächig die Ställe der Schäferei Aklin. Einmal,
unter gewittrigem Himmel, habe ich zugesehen, wie auf der Wiese
davor Schafe aus der Herde eingefangen wurden. Der Hund
lief kläffend hin und her, mit ausgestreckten Händen rannte der
Schäfer in die Herde, bis er halb ertrank in all der Wolle,
grabschte sich ein Schaf, zerrte und schleifte es am Hinterbein
rückwärts heraus und in die Scheune; die nächsten
in der Umgebung blökten verängstigt und schauten ihm nach,
davonzulaufen hat die Herde nicht versucht.
An der Allmendstrasse, schräg gegenüber, die PHÖNEX AG.
das Haus, das unter der Autobahn steht. Ein grotesker Anblick,
wie er vor ein paar Jahren den Witzzeichnungen vorbehalten
war. Daneben, für den verbliebenen Lokalverkehr, eine
MIGROL-Tankstelle; das Restaurant Höckler schliesslich, auch
es halb begraben unter der N3. Hinter der Kreuzung bei
der Brücke ist das Land zu Gräben und zu Wällen aufgeschichtet,
auf einer alten Bretterwand zum Wald hin sind drei Nummern
aufgemalt. Ich erinnere mich, wie die Rekruten nach einem Frühlingsregen verteilt im sumpfigen Gelände standen, zu dritt,
zu viert vor einem Korporal, in langsam verdämmernden
Stunden den Blick zur Autobahn hinaus- und fortgerichtet. Der
Oberst, offenbar zur Inspektion gekommen, brachte den
Mercedes nicht mehr aus dem Dreck. Ein Korporal, von weither
angerufen, nahm Haltung an und schickte seine drei Rekruten
zum Anschieben. Es wird zeitweise scharf geschossen, nicht nur
im Albisgütli. Waldwärts, weiter unten, ist ein Weg gesperrt.
HALT SCHIESSGEFAHR, warnt das Waffenplatzkommando
an der Barriere. Auf dem grasbewachsenen Plateau, das
über steile, in der Erde angelegte Treppenstufen zu erreichen
ist, befinden sich Laufgräben, schmale, niedrige Gänge,
die mich an Schilderungen von Kriechenüben erinnerten, als ich
einmal hinaufgestiegen bin. Steht man aufrecht, sieht man
von dort weit über die Allmend.
Nach dem Krieg sollen hier die letzten Pferderennen
stattgefunden haben, heute sieht man nur noch hin und wieder
einen Sonntagsreiter, der gemächlich seinen weiten Bogen
zieht. Links von der Sihl sind asphaltierte Rundläufe angelegt,
zwei kleinere und dann ein grösserer, auf dem ich einmal
den Fahrer von BURGER-KEHL mehrspännig gesehen habe,
mit einem Ersatzpferd, das hinter dem Wagen herlief. Der
Kutscher sass mit bleichem Gesicht auf dem Bock, liess gänzlich
unbewegt in gleichmässig ruhiger Fahrt die Rosse ihre Runden
drehen, immerzu herum und noch einmal herum. Es war
ein Bild für den Ästheten, so scheinbar sinnlos und vollkommen,
wie das Gefährt sich da bewegte; nur das Hufgeklapper
und das bisweilen quingelnde Geräusch der Räder war zu hören,
die Fahrschule selbst geschah in grosser Stummheit und
ohne alles Publikum. Selten kam mir die Allmend so still vor wie
gerade da, wo fast gespenstisch etwas noch zu sehen war,
was es im Grunde nicht mehr gibt. Vielleicht hing es mit dieser
Faszination zusammen, vielleicht war es tatsächlich
damals still. In der Weite des ganzen Feldes gibt es verlorene
Stimmen, die der Wind ganz in die Nähe trägt.
In einer Umgebung, in der das meiste doch recht alt
und karg ist, wirkt das Eiswehr an der Gänziloobrücke, eine
moderne Anlage mit Kabine in der Mitte, auffallend neu.
Dahinter, unter den Bäumen auf der Sihlinsel, wo im Sommer die
Jasser die Tische belegen und Männer, die ihren Nachbarinnen
in fleissigster Erinnerung sind, sich nachmittags beim
Bocciaspiel vergnügen, gibt es einen Kiosk und eine Dusche für
die Badenden am Ufer und in den Büschen überall.
Manchmal hängt sogar ein Schild am Weg: KIOSK GEÖFFNET.
So arm wie frei sieht es hier aus, ein bisschen altjüngferlich
und doch kommod; es schert sie nicht, die Hunde und die Liebenden.
Nach dem Abbruch der Hegibachhäuser hatte Ali Baba hier,
unter den Augen der Spaziergänger, mit einigen Genossen Zelte
aufgeschlagen. Ich weiss nicht, wie das Abenteuer ausgegangen
ist, doch eines Tages waren die Campierer nicht mehr da,
abgebrochen der Traum vom einfachen Leben, ob polizeilich oder
nicht, die Verkörperung der Standfestigkeit musste
anderswo vonstatten gehen. Vorher einmal, das fiel mir damals
wieder ein und liess mich hoffen, war Ali Baba kahlgeschoren
und mit Zopf wie immer in die Malatesta-Bar gekommen
mit der Einladung, die Hausbesetzer beim Fest am kommenden
Samstag mit einem Besuch zu unterstützen, da bald kein
Geld mehr da sei. Als ihm jemand einen Beaujolais anbot, rief
er mit klassischer Simplizität: Rote suff ich nöd!
Quer über das offene Feld, das auf
Verbotstafeln als Allmend I bezeichnet ist, läuft ein Fussweg geradewegs zur Autobahn und über eine Passerelle dann hinauf
zum Friedhof Manegg, wo ein Gärtner es sich im letzten Jahr
nicht nehmen liess, im Abstellbezirk, gleich hinter den Grabsteinen,
Tomaten anzupflanzen. Ich brauchte über ein Jahr, bis ich
einmal auf der Passerelle stehen blieb, um im Gedröhn den sich jagenden Wagen nachzuschauen. Eine amerikanische
Landschaft, speziell beim Eindunkeln, wenn die Sonne an den
langen Tagen gegen Höngg hin untergeht, vom Üetliberg
der Sendeturm mit seinem dritten Auge rotpunktig in den gelben
Abendhimmel blinkt und von Kloten her ein Kursflugzeug
südwestwärts höher steigt. Das Tor von Zürich, eine zwölfspurige
Autopiste, die zur Stadt hin auf Betonsäulen in einer Kurve
ansteigt, nachdem sich der Verkehrsstrom cinemaskopisch
aufgefächert hat in TRANSIT, in TRANSIT ZÜRICH WIEDIKON
CITY, in ZÜRICH BRUNAU und in ALBISGÜTLI
TRIEMLI-SPITAL. Der Einbruch in die Landschaft lässt, mit
einem Wort, Gewalt erkennen; dagegen ist die Allmend
nur eine Träumerei.
Blau, rot, weiss und gelb werben von den Hausfassaden die
ersten Leuchtreklamen, die insignien der Stadt. ALUMAG,
BALLY AROLA, FIRESTONE. Dann, mit dem eingedunkelten
Horizont, verwandeln die Tiefstrahler mit ihrem weichen,
gelben Licht das letzte Teilstück in einen Christbaum, als wollte
man die Reisenden mit Elektrizität begrüssen. Alles andere
versinkt; dunkelgrün, bald ganz unkenntlich das Feld, schwarz der Wald. In der Gegenrichtung, auf den Ausfallpisten, jagen
die Wagen nicht weniger pausenlos, dort in Richtung CHUR
und SAN BERNARDINO, nach LUZERN und nach dem
GOTTHARD zu. Zwischen Brunau und Manegg berührt die
Autobahn noch kurz den Boden, dann steigt sie nach
Wollishofen hin wieder auf zu einer Rampe. Unten, im Gewölbe
bei der Station Brunau, wo die verlassenen Wohnwagen
überwintern, ist jeder Schritt unwirklich. An einer Mauer, übermalt
und doch noch sichtbar, steht die Parole KAMPF DER SIHLHOCHSTRASSE. Vorne, hinter dem letzten Bogen des Gewässers, hebt die Autobahn sich auf das Flussbett,
makaber triumphierend. Die Stützpfeiler sehen aus
wie Grabessäulen.
Selbst der Strich hat sich gewandelt.
Vorne, bei den dunkleren Parkplätzen der Allmendstrasse
entlang, steigen die Mädchen kaum noch aus. Sie fahren an mit
ihren Renommierkarossen und bleiben drin sitzen, wenn
sie einem Kunden ihre Preise nennen. Manchmal begegnen sich
zwei Autos, die Fenster werden heruntergekurbelt, das ist
dann auch schon alles. Nie ist mir der Sexualismus der Automobile
deutlicher geworden als bei diesem Anblick. Es ist, als wählte
man nicht nur die Mädchen, sondern auch die Wagen, in denen
sie ihr Fleisch dann wegchauffieren. Vereinzelt stehen die
Männer herum, Italiener zu dritt bei einem Wagen. Das Mädchen
fährt zurück, sie stören den Kontakt. Ein Herr in Schal und
in Manchesterkleidung wartet, beugt sich nieder, kann sich aber
nicht entschliessen. Er macht dann ein paar Schritte, dreht
sich und geht zu einem Wagen, der in der leeren, hinteren Reihe
steht. Das Fenster wird herabgelassen, doch aus dem
Handel scheint am Ende wieder nichts zu werden. Eine Autotür
wird vorne zugeschlagen, ein Wagen fährt vorbei. Die
Mädchen sitzen einzeln in den Autos und warten unbeteiligt,
nur einmal rauscht ein Wagenschiff in schneller Fahrt
davon. Die einzige, die steht, steht immer noch, als ich nach
einer Stunde wiederkomme.
Nachts, wenn die wenigen Zuschauer der Saalsporthalle sich
verlaufen haben, ist die Allmend ein dunkles Loch. Beim
Handball selber war ich verschiedentlich, doch verglichen mit
der Stimmung, die dreitausend Fans im gähnend leeren
Hallenstadion entfachten, als der ZSC mit einem Gegner wie Uzwil
noch Mühe hatte, lief alles sehr geordnet, beinahe lautlos ab.
Knapp dreihundert auf den steilen Bänken, als Amicitia im April
St. Otmar schlug, weniger, als der Verein Mitglieder hat.
Zu einem Doppelspiel, bei dem die Grasshoppers erneut Schweizer Meister wurden, kamen nicht einmal fünfhundert da hinaus. Mit
dem Handball muss es, seit man die Torrichter von ihren Böcken herunterholte, bei uns bergab gegangen sein, da hilft auch der
neu errungene Komfort nicht weiter. Dass dies eine der schönsten Hallen in der Schweiz sei, las ich im Programmheft. Mir kommt
sie eher wie ein Beispiel dafür vor, was man lieblos Zweckbau nennt,
ist sie doch ein reichlich schwerfälliges Gebäude, das sich
zwischen Turnhalle und Handballstadion nie recht hat entscheiden können. Kann sein, dass ich mich irre, dass die Saalsporthalle
einfach noch zu jung ist, um Atmosphäre zu haben.
Die Allmend, sonntäglich unbekümmert wie die
Stammkundschaft, die zu den Spielen von Red Star kommt: ich
erinnere mich an Bilder, an Gestalten, an Begegnungen,
an Stimmen auch, ja, das vor allem, an Stimmen und an Blicke. Chunsch erst? So fragte einer der Alten den auf die Sitzbank Hinzusteigenden, der erst zur Pause kam. D‘Frau, d‘Frau,
fuchtelte der Zuspätgekommene, und alles war erklärt.
Erstligafussball aus der Nähe zu betrachten, ist ein
Sonntagmorgenvergnügen, das die ungefähr fünfhundert
schwerlich mehr entbehren wollten. Die Platzverhältnisse
sind derart, dass gänzlich zutrifft, was ein
Vorstandsmitglied der Grasshoppers mir zum Vorteil des Hardturm
einmal vorhielt. Man höre sie noch schnaufen, wenn sie
am Spielfeldrand vorbeiseckelten, erläuterte der intime Kenner.
Auf der Allmend entgeht dem Publikum fast gar nichts.
Nicht, was der Masseur zum Präsidenten sagt, wenn er zur Bank
zurückkehrt mit dem Wassereimer. S‘isch nüt gsi. Nicht,
was der Trainer seinen Spielern zuruft, wenn das Zittern um die
Punkte angefangen hat. Chömed, spieled jetzt wieder!
No zäh Minute. Biss uf Zäh, Hansruedi! Nicht einmal, was der
Schiedsrichter einem verständnislosen Tessiner Verteidiger
androht, bevor er ihn verwarnt. Wenn Sie witter Theater mached,
mach ich au Theater!
Am Tag, an dem der Nationalcoach kam, hatte
Red Star gegen Baden anzutreten. Unversehens wandte
jemand sich zurück und schaute zu mir hin, während
der Nachbar ihm zuflüsterte, ob er den auch kenne. Betroffen
drehte ich mich um, da stand der Hüssy neben mir.
In der Pause wussten es dann alle, rechteckig um den Platz
herum. Die Kommunikation hat über die Allmend ein
verschlungenes Netz gelegt. Matchbesucher reden über Fussball,
Spaziergänger mit Leine fragen nach dem Hund, die
Mitglieder der Rugby community unterhalten sich amerikanisch,
und die Hornusser schweigen. Unter letzteren gibt es
welche, die nehmen den Stumpen nicht aus dem Maul, selbst
beim Abschlag nicht. Wenn es so richtig heiss ist zum Verrecken, wie
Ferdi Kübler es gemocht hat, hauen sie ihre Markierungszeichen
in den Boden und beginnen bei einem Bierzelt mit Bedächtigkeit, was
mir selbst nach längerem Verweilen rätselhaft geblieben ist.
Unter den Schaulustigen am Rugbyfeld hatte ich den Eindruck, so
müsse es damals gewesen sein, als einige Verrückte im letzten
Jahrhundert den Fussball bei uns einführten. Right on, boys! Eine
kleine Dicke klatschte in die Hände, als die Männer den mit
Sägemehl gezeichneten Platz betraten. Alles schien sich hier zu
kennen. Hello! How are you? High. Etwas abseits, an der Sihl,
brutzelten zwei Fans ein Schwein, wohl in der Absicht, nach dem
Match die aufeinander Losgestürmten mitsamt den mitgereisten Ehefrauen und dem Nachwuchs einzuladen.
In den Septembertagen, in denen es
abends wieder früher dämmert und das schwindende Licht
die Spielzüge der Gestalten auf einem der Fussballfelder immer
mehr in ein Halbdunkel hüllt, fahren die ersten Jahrmarktswagen
auf. Anhängerschlepper, Laster mit Scheinwerfern, die wie
Elektroaugen in die Weite schauen, bis der Wagenpark sich hinter
der Saalsporthalle versammelt hat und sie erlöschen. Wenn
dann das Knabenschiessen im Albisgütli losgegangen ist, sieht
man es, weithin vom See her, auf der Höhe oben als ein
Lichtspektakel, doch auf der Allmend, wo die Besucher ihre Autos
lassen, da hört und riecht man es, was kein geringeres
Erlebnis ist. Vorlust als akustisches, ja aromatisches Versprechen,
als Hörspiel im Naturtheater. Nicht etwa nur Geböllere,
der Duft gebrannter Mandeln und Nidelzeltlischwaden ziehen
die Leute durch den Wald hinauf zur Budenstadt; zu sehen
ist überhaupt nichts, nur der Wind trägt ihnen die Einladung zur
nächsten Fahrt entgegen: Iistiige, Platz näh! Als wären
die grellen Farben der Schausteller an der Landschaft hängen
geblieben, beginnt auf der Allmend hernach der Herbst,
die Wälder fangen rot und gelb zu leuchten an.
Was eigentlich der Schmucki Ernst
mache, den habe er lange nicht gesehen, erkundigte sich
ein älterer Mann beim zweiten, den er am Sihlufer, auf halbem Weg
zur Gartenwirtschaft, getroffen hatte. Der sei schon drei Jahre
tot, entgegnete dieser, doch so, wie er es sagte, schien es noch weit
länger herzusein. Da sehe er es, begann der erste wieder.
Gekrampft habe er sein Leben lang, und was habe herausgeschaut
dabei? Die Antwort nahm dem zweiten der Mops des ersten
ab, der tollkühn auf eine Dogge zujagte, die vom Dragonerbrunnen
her über die alte Stahlbrücke gelaufen kam. Einmal, als ich
Andy, den Kunstkritiker, hier draussen antraf und wir uns in ein
Gespräch über Clowns verwickelten, war einer seiner beiden
Hunde, ein Terrier, wenn ich nicht irre, plötzlich weg. Andy war sehr
besorgt, handelte es sich doch, wie er betonte, um den
Augapfel seiner Frau. Ich half ihm also suchen, die Gfellstrasse
hinauf, wo die Sihl über flach abfallende Steinquader springt,
in den verschlafenen, trockengelegten Seitenkanälen,
wo die Sonnenbader gefunden hatten, was sie wohl ein windgeschütztes Plätzchen nannten; der Hund war
nicht herum, ich fing zu pfeifen an. Gleich drei schossen aus
dem Gebüsch hervor, drei andere allerdings. Andy fand
seinen Hund später, wie er mir erzählte, in der „Kantine“ wieder.
Gedanken über die Allmend wären völlig unzulänglich,
würden sie nicht bei der Wirtschaft zur Kantine einkehren, unter
deren Bäumen die Brühler Fussballer sassen, nachdem
sie 90 Minuten angegriffen und 3:0 verloren hatten. Auf dem
Wirtshausschild ist, gelb mit weissem Schaum, ein Bier
aus Pappe aufgemalt, was mich an jenen Kurt-Früh-Film denken
liess, wo der Unverbesserliche nach der Haftentlassung
seinen Traum an der Reklamewand gespiegelt sieht. Rosa, es
Bier! Es ist noch ein Glas, keine Stange, ein Kleines,
sagten wir früher. Alle vier Jahre machten die eine Inspektion,
lamentierte ein Gast, der auf die fünfzig zuging,
anscheinend über den Betrieb, in dem er weiss wie lang
beschäftigt war. Und was schaut dabei heraus?
Höchstens ein Abbau! Dabei schlug er zur Bekräftigung
noch auf den Tisch und wiederholte, nicht ohne
Lustgewinn: höchstens ein Abbau! Dabei lachte er verbogen,
hieb wieder auf den Tisch und nahm dann einen
Schluck aus seinem Glas. Während er sich den Schaum
abwischte, fuhr ein leichter Schützenpanzer über
die Allmend stadteinwärts. Als ich aufstand, zum Sihlufer
schlenderte und einer Ente zusah, war ich erstaunt,
mit welcher Geschwindigkeit sie das fliessende Gewässer
hinunterkam.
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