SICHER NICHT
Fritz Hirzel, Rike Mohaupt. Roman. Kapitel iX
WER SAGT DENN, TIEFER GEHT NICHT? WER SAGT
denn, sie ist unten angelangt? oder, denkt Rike Mohaupt, ist es
gar nicht das? ist es die Erfahrung, die sie gemacht hat?
die Erfahrung, dass sie immer kleiner wird? oder, ja, das eher,
dass sie klein gemacht wird? Sie läuft die letzten Tritte
zur Putlitzbrücke hoch, es ist, sagt Vivian Kretschmar, zu mild
für die Jahreszeit, es ist, denkt Rike, der Klimawandel,
die globale Erwärmung, aber das sagen sie nicht, die Wetterfrösche
im Fernsehen, sie lacht, sie lässt die Treppe hinter sich, wie
kommt sie darauf? es ist ganz was anderes, was ihr nicht aus dem
Kopf geht. Steamboat, der Kunstsammler, aus dem nicht
ohne ihr Hinzutun Mr. Andrew Glass aus Queens hervorgegangen
ist, hat angekündigt nach Berlin zu kommen, mit Continental,
die nonstop ab Newark Liberty International Airport fliegt, ab 570
Dollar, und das Anfang Dezember, zu Thanksgiving, zum
Black Friday, sagt er, schafft er’s nicht, gerade jetzt, in der Krise,
schätzt er the german Gemutlichkeit, the Berliner
Weihnachtsmarkt, Rike lacht stumm, sie läuft die Putlitzbrücke
lang, sie sieht die Miene, mit der Fabio Calvani ihrs
erzählt hat, seltsam berührt, sweetsour, denkt sie, ja, das kommt hin.
Er wird ihn, hat Fabio gesagt, in der Wohnung unterbringen,
für die Steamboat den Mietvertrag unterzeichnet hat,
Quitzowstrasse 107, Vorderhaus, viertes OG, und sie, denkt
Rike, wird mit Steamboat anstossen, sie lernt ihn kennen.
Sie schläft in diesen Novembertagen nicht mit Fabio, aber sie läuft,
sie läuft jeden Tag, sie läuft jeden Tag um den Westhafen
herum, sie hat einen Auftrag bekommen und mehr noch, sie hat
einen Auftraggeber gefunden, einen Stromversorger. Die
Putlitzbrücke, stellt sich heraus, ist wirklich die Rampe, die sie
in Schwung bringt. An der Strecke, auf der sie langläuft,
liegt vorne rechts ein Backsteingebäude, ein Heizkraft- oder
Umspannwerk, ein Fossil vergangener Elektropolis, das
ihr Glückbringer geworden ist. Vattenfall steht an der Fassade angeschrieben, die sie hinter der Putlitzbrücke kreuzt.
Vattenfall? überlegt sie beim Laufen, warum rufst du da nicht
mal an? sie ruft an, sie stösst auf Interesse, sie bekommt
einen Termin, sie kommt, stellt sich heraus, genau zur richtigen
Zeit, sie weiss nicht, werden in den inneren Diensten
Stellen abgebaut? wird Arbeit nach aussen vergeben, auch Übersetzungsarbeit? ist es eine interne Sparmassnahme?
ist es Teil unternehmerischer Bewältigung der Krise? aber Vattenfall,
findet sie heraus, hat den Gewinn gesteigert, Rike verdankt
den Auftrag der Babypause einer Mitarbeiterin, Lena
Marie heisst das Baby, zwei Monate nach der Geburt lacht
es das erste Mal. Vattenfall’s vision is to be a leading
European energy company and our main products are electricity
and heat. Rike bekommt den Auftrag Beiträge für eine Vierteljahreszeitschrift ins Englische zu übersetzen, sie arbeitet zuhause, sie liest sich in die Welt und in die Sprache der Energiewirtschaft ein, sie weiss, Krümel heisst crumb, rasch lernt
sie jetzt, Krümmel ist ein Atomkraftwerk, ein nuclear plant,
für die grünen Deutschen seit langem ein Sicherheitsrisiko, für Vattenfall seit langem ein Kommunikationsdesaster,
und mehr noch, als sie erstaunt, lachend Fabio das erste Mal
von ihrem Auftrag erzählt, fragt sie sich, was heisst das
jetzt? gehört sie jetzt zu den Krisengewinnlern? ja, denkt sie,
sie gehört, wenn auch auf andere Art, jetzt zu den
Krisengewinnlern, denn bald stellt sie fest, Fabio verhält sich, wenn
er abends aus der Galerie zurückkommt, ihr gegenüber jetzt
ganz anders, viel aufgeschlossener, einfühlsamer, interessierter
als zuvor, manchmal hat sie den Eindruck, er beginnt
irgendwie neu um sie zu werben.
Mutter, um viere gibt’s Butter.
Sonntag, 23. September 1934. Trübes Wetter. Haberlandstrasse 7,
Parterre. Im Wohnzimmer hat Else Mohaupt den Mittagstisch
abgeräumt. Es ist früher Nachmittag geworden. Else Mohaupt hat
eine Platte. Die spielt sie jetzt die ganze Zeit. Senta Söneland,
Im Wannsee. Senta Söneland singt. Sie hat den Text selbst
geschrieben. August Mohaupt, der Ehemann, der Hauswart, denkt:
Senta Söneland verfolgt sie. Sie verfolgt ihn. Zwei Monate sind
seit der Beerdigung von Senta Söneland vergangen. Seine Ehefrau
legt die Platte auf. Er verdrückt sich in die Werkstatt im Keller.
„Sie ist die Tochter eines preussischen Offiziers”, ruft Else Mohaupt
ihm nach. Was will sie damit sagen? denkt August
Mohaupt, der Feldwebel. Ebenfalls Sonntag, 23. September 1934,
jetzt Mitte Nachmittag, Habsburger Strasse 11, Parterre.
Es ist still geworden, denkt Willy Collin. Nein, nicht still. Es ist
einsam geworden. Es kommt niemand vorbei. Er hat
im Wohnzimmer die Zeitschrift Die Musik aufgeschlagen, Aus
unveröffentlichten Briefen des Komponisten, den Beitrag
zu Humperdinck, bei dem Willy Collin an Dr.Hoch‘s Konservatorium
im Frankfurter Ostend einst gelernt hat. Willy Collin liest: Der
Tondichter von Hänsel und Gretel, der gehaltvollsten
Märchenvertonung, die wir besitzen, war selbst in seinem Leben
und Weben inmitten seiner materialistisch eingestellten
Zeitgenossen ein musikalisches Märchen. Wie ein Hans im Glück
zog er durchs Leben, stets treu begleitet von seinem
köstlichen rheinischen Humor und der unbedingten Lauterkeit
seines – „Tja”, seufzt Willy Collin. – kerndeutschen Wesens.
Er blättert. Er überfliegt die weiteren Titel: Cosima Wagner und
Houston Stewart Chamberlain im Briefwechsel. Amtliche
Mitteilungen der Reichsjugend-Führung. Das Logo, ein Hakenkreuz.
Mitteilungen der NS-Kulturgemeinde. Dann, in der Rubrik
Musikleben der Gegenwart, aus der Nachbarschaft: Die Deutsche
Musikbühne gastiert für die NS-Kulturgemeinschaft Kraft
und Freude im Theater am Nollendorfplatz. Eröffnung mit einem
problematischen, aber immerhin höchst sehenswerten
Fidelio, auf den – „Naja”, seufzt Willy Collin. – expressionistische
Regiegrundsätze angewendet wurden. Sein Auge springt
zum Schluss: Der neue Dirigent, Dr. Hans Schmidt-Isserstedt,
ist Vollblutkünstler, und wir erwarten seine aufsteigende
Laufbahn. Willy Collin blickt auf. Seine Ehefrau ist eingetreten.
Er sagt: „Brauchen wir eigentlich Die Musik noch?”
Hedwig Collin blickt ihn an. „Soll ich sie abbestellen?” Es stellt
sich heraus, er hat sie gar nicht abonniert. Er bekommt
sie einfach zugeschickt. Dann wieder Freitag, 30. Juni 1939,
jetzt Haberlandstrasse 7, in der Werkstatt im Keller.
Was ist denn das? August Mohaupt zupft mit Daumen und
Zeigefinger am Schnurrbart. Er kniet nieder. Er öffnet
die Kiste, die er unter der Hobelbank entdeckt hat. Senta Söneland.
Eine Columbia-Platte: Auf dem Rummelplatz, Rückseite
Beim Photographen. Eine Grammophon-Platte: Im Wannsee,
Rückseite Im Zoo. Noch eine Grammophon-Platte: Ach,
Adolf, Du bist mir zu pflaumenweich, Rückseite Ach, wenn ich Bürgermeister wär’. Eine Zonophon-Platte: Warnung
an junge Männer, Rückseite Was mir heut passiert ist. Eine
Grammophon-Platte: Darum lasst uns noch einen heben,
Rückseite Eine grossartige Idee. Wieder eine Grammophon-Platte:
Es gibt nur einen Wilhelm II., Rückseite In Berlin, da sehen
wir uns wieder. Noch eine Grammophon-Platte: Jette im Kino, Rückseite Kriegsfreiwillige. Und die letzte, eine Grammophon-Platte
ebenfalls: Mutter, um viere gibt’s Butter, Rückseite For mir.
Jetzt fällt August Mohaupt ein, wie er seine Ehefrau die Platten
hat packen sehen. Sie sagt: „Es gibt Krieg.” Sie legt
Zeitungspapier zwischen die Schallplatten. Sie sagt: „Ich muss
meine Schätze in Sicherheit bringen.” Er sieht ihr zu.
Er kratzt sich. Er sagt: „Kannst du nicht warten, bis die erste
Bombe fällt?” Sie kniet am Boden. Sie winkt ab. „Nein.
Kann ich nicht.” Zusammen, denkt August Mohaupt, als er jetzt
im Keller den Inhalt der Kiste sichtet, die Else Mohaupt
unter der Hobelbank verstaut hat, zusammen wären sie nicht
schlecht, aber sind sie zusammen? ja, sie sind ein Paar,
er weiss, aber handeln sie zusammen? Plötzlich steht Else Mohaupt
hinter ihm. Er sagt: „Ich schau mir deine Schätze an.”
Sie fragt: „Hast du mir mal einen Hammer?” Er sagt: „Aber doch
sicher.” Er reicht ihr den Schlosserhammer. Und dann
wieder Freitag, 30. Juni 1939, jetzt Habsburger Strasse 11,
Parterre. Das Musikzimmer braucht neue Vorhänge,
denkt Hedwig Collin. Alles verkommt. Nichts wird erneuert.
Und das jetzt seit sechs Jahren. Sie schliesst die Tür.
Willy Collin unterrichtet einen Schüler. Eigentlich ist das Willy
Collin verboten. Erst ist ihm die Unterrichtung arischer
Schüler verboten worden, dann die Unterrichtung jüdischer
Schüler. Der Schüler, kleingewachsen, schwarzlockig,
imposante Nase, heisst Sam Mayer. Willy Collin unterrichtet
ihn in Geige. Die Stunde ist vorbei, das Gespräch
kommt auf die Oper Hänsel und Gretel von Humperdinck.
Sam Mayer fragt: „Lebt Engelbert Humperdinck noch?“
Willy Collin schüttelt den Kopf. „Er hat in Nikolasee gelebt. Er ist
gestorben. 1921. Er liegt auf dem Südwestfriedhof. In
Stahnsdorf. Ein schönes Grab. Im Waldfriedhof. Ein goldbeschrifteter
Stein. Er könnte aus Hänsel und Gretel sein.“ Sam Mayer
fragt: „Hatte er Hänsel und Gretel schon komponiert, als Sie in Frankfurt sein Schüler gewesen waren?“ Willy Collin sagt:
„Er hatte gerade begonnen.” Er weiss, das ist nur die halbe Wahrheit.
Er fügt hinzu: „Die erste Musik ist für ein Sprechstück gewesen.“
Sam Mayer fragt: „Und wer verwaltet den Nachlass?” Willy Collin
sagt: „Er hat einen Sohn, der NSDAP-Mitglied ist. Und im Musikgeschäft tätig. Er heisst Wolfram Humperdinck. Er ist
Opernregisseur.” Willy Collin hat gehört, der Sohn ist unzufrieden.
Und dann, anderswo jetzt, ganz anderswo, es ist Dienstag, 2.
Mai 1939 geworden, Wolfram Humperdinck schreibt
an Reichspropagandaminister Dr. Josef Goebbels: Hochverehrter Parteigenosse! Und dann, ein Monat ist vergangen, es
ist Mittwoch, 3. Juli 1939 geworden, am Morgen reist Wolfram
Humperdinck mit der Reichsbahn nach Hannover. Er trägt Parteiabzeichen. Er ist der einzige Fahrgast im Abteil. Er sitzt in
einem Raucherabteil Erster Klasse. Er hat Lektüre dabei.
Akten. Und Noten. Er liest Die Musik. Er liest die in den Beitrag
Das Publikum verlangt – was? eingeschobene amtliche
Mitteilung: Zur Klarstellung und Beachtung gibt der Präsident der Reichstheaterkammer bekannt: Auf Grund der 2. Titelordnung
des Führers, die am 22. 10. 1937 in Kraft trat, können folgende Titel
nur noch vom Führer verliehen werden: Generalintendant, Generalmusikdirektor, Staatsschauspieldirektor, Staatsoperndirektor, Staatskapellmeister, Staatsschauspieler(in), Kammervirtuose, Kammermusiker. Wolfram Humperdinck fährt mit der Zunge über
die Oberlippe, hebt die Hand und schnalzt. Er schliesst
Die Musik. Er entnimmt dem Veston eine Cigarre. Er schnuppert
an ihr, steckt sie in den Mund, spuckt Tabakkrümel aus, holt
Streichhölzer hervor, zündet die Cigarre an, zieht langsam daran,
stösst den Rauch aus, blickt trotzig aus dem Zugfenster und
sagt scharf zu sich selbst: „Generalintendant.“ Und dann, inzwischen
ist es Freitag, 1. September 1939 geworden, Deutschland
überfällt Polen. Wolfram Humperdinck reist am Tag des
Kriegsbeginns erneut mit der Reichsbahn zu einer Besprechung
nach Hannover. Fett, Fleisch, Butter, Milch, Käse, Zucker
und Marmelade sind nur noch gegen Lebensmittelkarten erhältlich. Wolfram Humperdinck fasst einen Plan. Und dann, in sieben
Monaten hat die Wehrmacht die Nachbarländer überrannt,
es ist Donnerstag, 4. April 1940 geworden, Wolfram Humperdinck
schreibt an Reichsdramaturg Rainer Schlösser. Er beklagt
sich darüber, dass die Oper Königskinder seines Vaters immer
weniger gespielt wird, da die Intendanten daran Anstoss
nehmen, dass die Librettistin der Oper, Elsa Porgess-Bernstein,
Jüdin ist. Er bittet darum, dass der Reichsdramaturg in einer
Mitteilung an alle deutschen Opernhäuser die Unbedenklichkeit
des Werks feststellen sollte. Er schreibt: Der Anteil von Elsa
Porgess-Bernstein am Libretto ist zu vernachlässigen. Er weiss, dass
das nicht stimmt. Er schreibt: Mein Vater hat den Entwurf von
Elsa Porgess-Bernstein sehr durchgreifend bearbeitet. Er schreibt:
Von den ursprünglich 2396 Textzeilen hat mein Vater 840 ganz gestrichen und 145 neu hinzugedichtet. Er schreibt: Mein Vater hat
alle unnötige Erotik, alle Derbheiten, Schwulst, Empfindsamkeiten
und unschöne Gesinnung entfernt. Wolfram Humperdinck schlägt vor,
der Verlag Schott in Mainz sollte Elsa Porgess-Bernstein eine
einmalige Abfindung bezahlen, sodass sie in Zukunft nicht mehr
an den Aufführungen beteiligt sei. Elsa Porgess-Bernstein
lebt in München. Sie ist an den Aufführungen der Königskinder
zu 50 Prozent beteiligt. Die Tantiemen sind ihre letzten
Einnahmen. Beim Verlag Schott in Mainz kommt der Vorschlag von
Wolfram Humperdinck nicht durch. Erst, als Elsa Porgess-Bernstein nach Theresienstadt deportiert wird, stellt der Verlag Schott
in Mainz die Zahlungen ein. Und dann, nur zwölf Tage, nachdem Wolfram Humperdinck an ihn geschrieben hat, lässt Rainer
Schlösser ein Rundschreiben der Reichstheaterkammer verbreiten,
es ist Mittwoch, 26. April 1939, und der Reichsdramaturg
übernimmt wörtlich, was Wolfram Humperdinck geschrieben hat,
er schliesst: In Anbetracht dieser Tatsache und der hohen künstlerischen Qualität der kerndeutschen Musik muss die Oper als völlig unbedenklich bezeichnet werden, ja sie sollte zum eisernen Kernbestand des deutschen Opernspielplans gehören. Ich würde es begrüssen, wenn das Werk in Zukunft eine steigende
Aufführungsziffer aufwiese.
Ein Haar, denkt Rike Mohaupt.
Welche Daten hat ein Haar gespeichert, ein einziges
Haar? Welche Informationen trägt es über Jahrzehnte weiter?
Sie ist startklar. Sie steht in der Laufhose im Badezimmer.
Sie zupft an der Augenwimper, sie hält den Kopf nah an den
Spiegel heran. Das Haar. Die Wimper. Wenn sie zu nah
herangeht, wird das Bild unscharf. Neben ihr steht Fabio Calvani.
Er rasiert sich gerade. Er bewegt den Elektrorasierer
von Philips über das Kinn. Sie tritt aus dem Bad ins Wohnzimmer.
In Germany, heisst es im Radio, beschliesst die neue
Regierung längere Laufzeiten für Atomkraftwerke. Und Vattenfall,
denkt Rike, verkauft die kommenden Jahre den billigen
Atomstrom teuer. Sie steht am Fenster. Sie blickt hinaus. Es regnet.
Es ist halb zehn Uhr morgens. Sie hat die Laufschuhe an.
In den USA will GM bereits Ende des Jahres mit der Rückzahlung
der von der Regierung gewährten Kredite beginnen.
Die Summe von 6,7 Milliarden Dollar könnte schon 2011
abbezahlt sein, vier Jahre vor dem ursprünglichen
Zeitraum, wie eine mit mit dem Rückzahlungsplan vertraute
Person erklärte. Insgesamt haben die amerikanischen
Steuerzahler etwa 52 Milliarden Dollar in GM gepumpt. Der
Autobauer, der gestärkt aus dem Insolvenzverfahren
herausgekommen ist, befindet sich jetzt zu 61 Prozent in öffentlicher
Hand. Dem Rückzahlungsplan zufolge will General Motors
jedes Quartal eine Milliarde Dollar an die Regierung in Washington
zurückzahlen und 200 Millionen Dollar an die kanadische
Regierung, die GM mit 1, 4 Milliarden Dollar ausgeholfen hat.
Rike macht das Radio aus. Sie muss los. Sie wird erwartet.
Die Putlitzbrücke. Der Westhafen. Der Regen. Sie küsst Fabio.
Sie sagt: „Ich laufe für dich.” Sie weiss nicht, warum sie das
sagt. Sie hat einfach Lust es zu sagen. Es kommt aus einem Gefühl
heraus. Es schlüpft am Kontrollzentrum des Gehirns vorbei.
Fabio sagt: „Bis bald.” Er läuft nicht. Er klatscht ein Rasierwasser
auf die Haut. L’Homme. Plötzlich meint sie, es donnert
draussen. Aber warum? warum jetzt? im November? Es ist,
stellt sich heraus, der Müllmann, der die Tonne durch
den Hinterhof zieht. Unten hört sie die Haustür hinter sich zufallen.
Sie läuft die Treppe zur Putlitzbrücke hoch. Es regnet
nur leicht. Es hat lange nicht geregnet, denkt sie. Als sie am Ende
der Putlitzbrücke auf die Stelle zuläuft, an der sie zum
Nordufer abbiegt, sieht sie an der Kreuzung vorn einen Mann
warten, Mittdreissiger in Joggingdress, und sie sieht,
wie er nach zehn Sekunden eingeholt wird von einer Frau
mit Kapuze, und sie sieht, wie sie, ein Paar jetzt,
zusammen weiterlaufen, das Nordufer davon. Jetzt fällt ihr ein,
was sie Fabio zu sagen vergessen hatte. Gestern, sie
hatte in der Galerie gearbeitet, war eine Hochzeitsanzeige
gekommen. Sie hatten geheiratet, die zwei Herren
aus Mülheim.