Passagiere des Glücks weiter zurück
SCHWEINEBAUCH-KAMPAGNE
Hier also, in der Kommunikation der Geschlechter,
die das Shopping in der City als Beiprogramm
verheisst, spielen Angebot und Nachfrage nicht. Das
ist die Tücke dieser Humoreske, die Absurdität.
Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf
die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004
Saturn. Geiz ist geil! Eine „Schweinebauch-Kampagne“
nennt Werbeagent Jung von Matt, womit er 2002
seinen Fachmarkt-Kunden bekanntmacht.
Der ist „der Gaul, den er für die Öffentlichkeit, d. h. für den
Verkauf auf dem Markt zustutzt”. Mit diesem Zitat einer
Erzählung von Gotthelf illustriert das Deutsche Wörterbuch
der Brüder Grimm 1889 das Stichwort „Öffentlichkeit”.
Und sogleich erscheint die „Öffentlichkeit” als Marktplatz,
wo Käufer mit Rosstäuschertricks hinter’s Licht geführt werden.
Ist es solche Paradoxie, die uns zum Lachen reizt?
Zumindest führt sie uns in Widersprüche, die lachhaft
anmuten: Obwohl das Grimmsche Wörterbuch unter „Öffentlichkeit” versteht, „was öffentlich ist oder geschieht”, soll
ausgerechnet das heimlich Zugestutzte, unter dem Deckel
Gehaltene „für die Öffentlichkeit” sein?
Für die Bilanzen, die Unternehmen in den USA fälschen,
um ihre Aktienkurse hochzutreiben, bezahlen 2002 die
Anleger. „Smart investing”? Dazu gibt’s ein sarkastisches Echo,
das als Witz daherkommt:
„Wenn Sie vor einem Jahr Nortel Aktien für 1000.00 Dollar
gekauft hätten, so wären die heute 49.00 Dollar wert.
Mit Enron hätten Sie von den ursprünglich 1000.00 Dollar
noch 16.50 Dollar. Mit WorldCom wären Ihnen
weniger als 5.00 Dollargeblieben.
Wenn Sie vor einem Jahr für 1000.00 Dollar Budweiser
(das Bier, nicht die Aktie) gekauft, alles Bier getrunken
und dann die Dosen für 10 Cents Pfand zurückgebracht hätten,
so hätten Sie 214.00 Dollar. Meine Empfehlung lautet
deshalb zur Zeit: Viel trinken und recyclen.”
Wer mit Haarausfall kämpft
Wir landen, kaum ist als Ort der Öffentlichkeit „der Markt”
benannt, bei einem Schwindel, dem eine „strategische
Planung” zugrunde liegt. Aber ist es die Öffentlichkeit, die aus
dem Täuschungsmanöver ramponiert hervorgeht?
Es ist zumindest die Öffentlichkeit der Betroffenen,
der Anleger also. Die mit der Unternehmenskommunikation
Beauftragten sagen: Es ist „das Vertrauen”
der Öffentlichkeit.
Erfundene Krankheiten nennt Der Spiegel 2003
eine Titelgeschichte. Das „Gesunde für krank verkaufen”
liest sich in der Nummer 33 so:
„Nachdem beispielsweise die Firma Merck & Co.
ein Mittel gegen Haarausfall entdeckt hatte, startete die globale
PR-Agentur Edelman eine Kampagne. Sie fütterte Journalisten mit
Studien: Ein Drittel aller Männer habe mit Haarausfall zu kämpfen.“
„Zudem habe man herausbekommen, dass der Verlust
des Kopfhaares zu Panik sowie emotionalen Schwierigkeiten führe
und die Aussichten verringere, im Bewerbungsgespräch
einen Job zu bekommen.“
„Was man nicht erfuhr: Die Studie wurde von Merck & Co.
gesponsert, und die medizinischen Experten, die den Journalisten
die Zitate diktierten, hatte Edelman aufgetan.”
Hundefutter für Leute ohne Hunde
Ob im Finanzmarkt, ob im Gesundheitsmarkt, ob im
Einzelhandel: Oft wird „das Vertrauen” der Kunden von
Unternehmen zerstört, geknetet, aufgebaut,
als hätte es das Gelächter der Öffentlichkeit dazu nie gegeben.
Ausgerechnet „Vertrauen” ist zum Schlüsselwort der
PR-Geschichte in Deutschland geworden, es prägt die Buchtitel der Pioniere, die beide aus der NS-Zeit kommen: 1939
veröffentlicht Hans Domizlaff Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, eine Theorie der Markenentwicklung.
Dem Titel erweist Carl Hundhausen 1951 seine Referenz.
Werbung um öffentliches Vertrauen (Public Relations) nennt er das Buch, das er ausschliesslich mit amerikanischen Beispielen
illustriert.
Soviel „Vertrauen” ist ungewöhnlich. Weder „trust” noch
„faith” noch „confidence” gibt es als Stichworte im Index, als James
E. Grunig und Todd Hunt 1984 in den USA Managing
Public Relations herausbringen.
Ihnen geht es darum, die anzusprechende Öffentlichkeit
möglichst genau zu identifizieren: „Versuche nicht, Hundefutter an
Leute zu verkaufen, die keine Hunde haben!”
„Vertrauen” schafft es dafür als Kategorie in die Systemtheorie.
„Einen Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität”
nennt es 1968 Niklas Luhmann, „unbegründbar, eine Mischung von Wissen und Nichtwissen”.
Es kommt durch „Überziehung der vorhandenen Information”
zustande. Man kann „Vertrauen nicht verlangen. Vertrauensbeziehungen lassen sich nicht durch Forderungen anbahnen, sondern nur durch Vorleistungen.”
Zuletzt: „Vertrauenswürdig ist, wer bei dem bleibt, was er
bewusst oder unbewusst über sich selbst mitgeteilt hat.” Ist das im
Falle eines Falles nicht Glatteis, wo Lachen als Begleiter
sich anbietet? Offenbar nicht zwingend. Mit dem überladenen
Wühltisch erregt der Einzelhandel erst mal Aufmerksamkeit:
Das Vertrauen wird über den Preis geregelt.
Hosen ganz günstig. Im Ausverkauf.
Nicht Fachhändler, sondern Discounter sind die Profiteure der Depression. Es ist die Billigkette der Albrecht-Brüder,
die Anfang 2003 in mehrseitigen Vierfarbanzeigen den Slogan
schaltet: „Deutschland vertraut Aldi.“
Hier geht der Kunde davon aus, dass er nicht „über den Tisch
gezogen” wird, vermuten die McKinsey-Berater Peter Bartenstein
und Michael Kliger, als sie im Wirtschaftsmagazin Der
Handel im Juli 2002 feststellen: „Deutschland ist Discounterland.”
Ohnehin sind es die Frauen, die im Einzelhandel die Kaufentscheidungen treffen. Wenn’s aber um Kleider geht,
entwickeln sie daraus ein eigenes, an Preisnachlässen
inspiriertes Vergnügen.
Eine der Stories, die twoday.net 2003 unter “missunderstood”
anbietet, geht so: „Gestern unterhielt ich mich mit einer
Kollegin und erwähnte dabei, dass ihre Hose sehr schön sei
und ihr auch sehr gut steht.”
Wann immer sie selbst die Art von Hose probiere, jucke
die bloss und trage Kilos auf. Auch kenne sie
Einmeterachzigfrauen mit Modelfigur, an denen die Hose
herunterhing wie ein nasser Sack.
Ihrer Kollegin jedoch stand sie tadellos. Auf ihr Kompliment
hätte die aber reagiert, wie Frauen immer auf Komplimente
reagierten, indem sie sagte: „Die Hosen waren ganz
günstig, im Ausverkauf.”
Enge Jeans. Und String darunter.
Reagieren so Ertappte? Sie haben es nie mit dem Kaiser
in Hans Christian Andersens Märchen, der
„so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, dass er all sein
Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein”.
Es ist nichts weiter. Sie haben nur ein Schnäppchen
gemacht.
Aber dann, im masslosen Sommer 2003, geht’s in einem
der Foren, die unter „wer-weiss-was” laufen, um den
Mehrwert des Kaufes. Zwar gilt der Markt als Ort, wo Anbieter
und Nachfrager sich treffen, aber es gibt eine zusätzliche
Dimension, die das Shopping in der City bereithält, wenn’s um
„neue Kleider” geht.
Da beharrt Birgit drauf: „Die Frau mit eleganter Bluse im geschmackvollen Armani Hosenanzug, der nichts zur Schau trägt
und nichts offen legt, wird genauso angemacht wie die,
die ihre pralle Oberweite in ein zu enges Bustier steckt. Nur die
Männer sind – meist – unterschiedliche.”
Drauf outet sich Klaus. Ihn fasziniert die zu Markte getragene
nackte Haut, penibel notiert er: „Frauen, vor allem jüngere, tragen
recht tief sitzende Hosen und dort schaut dann die Unterwäsche
hervor. Eine Frau, mit entsprechender Figur, enge Jeans und String
darunter ermöglicht vor allem in gebückter Haltung (z.B.
beim Schuhe anprobieren) tiefe Einblicke in die Welt der femininen
Dessous.”
So bietet sich der Kaufhausbummel als Zerrspiegel an,
der für die Tücke der Humoreske, ja des Absurden wie geschaffen
ist: Sie, die als „Konsumentin” Befriedigung sucht. produziert
sich! Und er, kaufabstinenter „Endverbraucher”, wird zu einer Art Zweitleser, der verstohlene Blicke auf ihre Hinterbacken wirft.
Ist das die Pointe, dass die Frau sich auf den Markt bringt,
wo sie ihr Privatestes entäussert? „Billig” nennt’s Birgit.
Und bezichtigt der Lächerlichkeit, was sie als Differenz zwischen
Selbst- und Fremdbild überdeutlich wahrnimmt: Aber hatte
der Markt im Kalkül geheimer Wünsche und Bestätigungen nicht
immer diesen doppelten Boden?
Die Frau „geht einkaufen”. Das tut sie entschlossen, als sie
nehme ein Recht auf Glück wahr: „to go shopping”! Je chancenloser ihre Aussichten sich beruflich darstellen, desto eindringlicher
gibt man ihr zu verstehen, dass sie sich „gut verkaufen” müsste. Sie selbst ist der Gaul, den es „für den Verkauf auf dem Markt
zuzustutzen” gilt.
Ein Shoppen-und-Ficken-Roman
Es ist diese brüchige, zur Disposition gestellte Welt,
in der Shoppen sexy und Ficken ein Job ist. Für die steht der
Titel jenes Debütstücks, mit dem Mark Ravenhill
1996 in London herauskommt: Shopping and Fucking.
Es ist der Titel, der den Erfolg des Stücks noch übertrifft,
und diesen Titel hat – natürlich! – eine Frau „kreiert”. Mark Ravenhill
gesteht’s mit dem ihm eigenen, unerwartet entwaffnenden Witz.
Die Wendung vom „Shoppen und Ficken” fliegt ihm bei
einem Gespräch mit der Kollegin Sheila Goff zu,
die zufällig einen früheren Freund trifft. Was sie so mache,
fragt der sie unvermeidlich. „Oh, ich schreib an einem
Shoppen-und-Ficken-Roman”, erwidert Sheila Goff drauf leichthin,
wie weggeworfen.
Dass Shoppen nicht Einkaufen ist, gibt Judith Hermann zu
verstehen, wenn sie in Nichts als Gespenster schreibt:
„Meine Füsse sind völlig zerschunden von den gottverdammten
neuen Schuhen. Ich habe eingekauft, Obst und Milch und
Wein, mehr Geld war nicht da.”
Ihr Erzählband steht 2003 auf der Bestsellerliste, für Berliner
liest sie im Kulturradio jeden Morgen im März draus vor,
unterkühlt, ein traumwandlerischer Sog, der Orte und Personen austauschbar macht.
Aber es ist kein Hörer, der zufällig die Autorin im Prenzlauerberg entdeckt und eine ergriffene Notiz im Internet postiert:
„Auf dem Postamt. Die Frau, die vor mir an der Servicetheke
der Post gewissenhaft versichert, sie habe das ‚mit dem
Buch verschicken schon oft so gemacht’, dreht sich um und ist
plötzlich Judith Hermann.“
„Meine gute Kinderstube verhindert leider, dass ich sie fragen
muss, wie das mit der Geschichte mit J. ist. Vielleicht
häufiger mal in den Schönhauser Allee Arkarden einkaufen gehen, schüttelfrostet es mich beim Verlassen der Lokalität.”
Aufreissen ist nicht Flirten
Das Einkaufszentrum ist der Ort, wo das Lachen an keinem
bestimmten Punkt, aber an jeder Ecke als Möglichkeit
sich einstellt, bei geringstem und unerklärlichstem Anlass.
Da gibt’s das Auflachen der zwei Frauen, die miteinander
bekannt sind, aber unerwartet zwischen Regalen aufeinandertreffen. Ein flüchtiges Lachen, das isoliert bleibt, das davonläuft,
als sei’s ungerufen. Für Dauerhafteres ist das Einkaufszentrum
nicht der Ort.
Bei einer Frau steht „Aufreissen” nicht auf dem Einkaufszettel.
Es ist ein Witz ohne Pointe. Ein Zwei-Personen-Haushalt
inklusive Einkaufen ohne Kinder braucht vierzig Stunden pro
Woche, meint Sue in einer Newsgroup 1996. Und zuletzt:
„Her mit den Gummibärchen!!! Ich möchte nämlich auch einmal
etwas aufreissen.....”
Da sind drei junge Französinnen sich einig, die ein TV-Reporter
von arte 2003 drauf anspricht: „Aufreissen ist nicht Flirten.”
Flirten spielt sich auf gleicher Ebene ab. Aufreissen ist asymmetrisch. Und dazu hat sie, sagt eins der Mädchen, keine Lust.
Beim Einkauf hat die Frau selbst ihren Spass. Oder eine
Freundin dabei. Das „Aufreissen” eines Machos? Sowas nervt oft.
Es ist nicht mal zum Lachen. Frauen haben, was Männer
angeht, einfach keine Kaufabsichten.
Der Mann weiss das, aber es stört ihn. Er hat sich damit
nicht abgefunden. Nicht endgültig, nicht wirklich. Wie sollte er auch? Sprechen nicht die „tiefen Einblicke in die Welt der femininen
Dessous” eine andere Sprache?
Dutzendfach fragt er sich selbst belabernd in Foren
und Chatrooms: Wie mache ich im Einkaufszentrum Frauen auf?
Es hilft nichts, wenn Martin 2000 im Klub der Experten
anmahnt: „Das ist nur was für Typen, die super baggern können...
das ist laut Tests auch bewiesen, dass man da
keinen Erfolg hat.”
Hier also, in der Kommunikation der Geschlechter,
die das Shopping in der City als Beiprogramm verheisst, spielen Angebot und Nachfrage nicht. Das ist die Tücke dieser
Humoreske, die Absurdität: Frauen, für die „Shoppen” sexy ist,
haben keine Antenne für den Mann, der aufs “Ficken” aus
ist. Nicht im Kaufhaus. Nicht, solange sie einkaufen.
Die Ironie des Auftritts scheint das auszuschliessen.
Solch ein Engel des Lachens ist weiblich. Er straft die Glücksritter,
die sich heranschieben, weil irgendwer ihnen mal wieder
eingeflüstert hat, sie könnten „die Puppen tanzen lassen”. In der Warteschlange vor der Kasse werden sie ausgelacht.
Frauen, wenn sie so lachen, sind Passagiere des Glücks.
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