Anonymous, Aesop‘s Fabels, Der Wolf und das Lamm, 1739.

„Lämmchen“  nennt Mrs. Jewkes die inhaftierte Pamela, die an ihren

Herrn schreibt: Was habe ich getan, dass ausgerechnet ich zur

Zielscheibe eurer Grausamkeit werde!


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PAMELA

 

Pamela wird in der Gefangenschaft auf dem

Landsitz von Mr. B. durch Mrs. Jewkes

so übel behandelt, dass sie Fluchtpläne auszuhecken

beginnt. Heimlich verbündet sie sich

mit dem Vikar Mr. Williams.



               Neil Coke, Jeder eine Fackel in der Hand. Roman.

               Donnerstag, 13. Dezember 1739


Vor zehn Wochen hat Richardson, der kleine, weichliche

Mann, mit Fabeln zu tun gehabt, er hat nämlich, ehe er sich drauf einlässt einen Roman zu schreiben, Aesop’s Fables

herausgebracht und für die geplante Neuausgabe Sir Robert L’Estranges Übersetzung, die äusserst beliebt ist und

im Vorjahr die achte Ausgabe erlebt hat, gewählt und überarbeitet.

      Richardson wählt zweihundertvierzig Fabeln aus, fünfhundert

umfasst L’Estranges Erstausgabe von 1692. Ein Longseller

soll das werden, ein populäres Kinderbuch. Die Neuausgabe, die

zu jeder Fabel eine Kupfergravierung in Miniatur bietet,

ist seit November auf dem Markt, veröffentlicht von John Osborne, Buchhändler, Golden Ball, Paternoster Row:

      Aesop’s Fables. With Instructive Morals and Reflections.

Abstracted from all Party Considerations. Adapted

To All Capacities and design’d to promote Religion, Morality and Universal Benevolence.

      Es ist Osborne, Richardsons Geschäftsfreund, der

Verlagsbuchhändler, gewesen, der mit seinem Berufskollegen

Charles Rivington, Bible and Crown, St. Paul’s

Churchyard, auch das Ratgeberbuch angeregt hat, das

Richardson nach Edition und Druck von Aesop’s Fables

zwar angefangen, aber drauf zurückgestellt hat

um den Roman zu schreiben, Pamela.


Der Wolf und das Lamm

In Richardsons Haus sind Aesop’s Fables in den vier

Wochen seit ihrem Erscheinen zur festen Einrichtung der Gutenachtgeschichte geworden. Elizabeth Midwinter

liest Mary und zwei ihrer Schwestern, mit denen Mary jeweils

vor ihr auf dem Boden zu sitzen pflegt, jeden Abend

eine Fabel vor, heute A Wolf and a Lamb.

      Elizabeth Midwinter zeigt ihnen zuerst auf einem der Bilder,

die der Fabel beigegeben sind, den Wolf, mit erhobenem Kopf von einem Erdsockel herabblickend, und das Lamm darunter,

halb so gross, wollig.

      „Ein ungleiches Paar”, sagt Elizabeth Midwinter und liest vor:

      Als ein Wolf sich oben an einer Quelle labt, erblickt er

ein gutes Stück flussabwärts ein Lamm, das zur gleichen Zeit

ebenfalls aus dem Bach trinkt, und sogleich rennt er

mit aufgerissener Schnauze zu ihm.

      „Schurke”, sagt er. „Wie könnt ihr es wagen das Wasser

zu trüben, aus dem ich trinke?” „Wirklich”, sagt das arme Lamm.

„Ich hab nicht gedacht, dass ich euer Wasser so weit oben

trübe, wenn ich hier unten draus trinke.”

      „Nö”, sagt der Wolf. „Ihr werdet von euren logischen

Spitzfindigkeiten erst lassen, wenn euch die Haut über die Ohren gezogen wird wie eurem Vater für sein Geplapper

vor sechs Monaten an diesem hübschen Wasserlauf. Daran

erinnert ihr euch doch, Bursche!”

      „Wenn ihr mir glauben wollt, Sir”, sagt das unschuldige Lamm

voller Angst und Zittern. „Ich bin da noch gar nicht auf

der Welt gewesen.”

      „Weshalb eure Unverschämtheit?” brüllt der Wolf.

„Habt ihr weder Scham noch Gewissen? Aber, Bursche, es liegt

eurer Rasse im Blut unsere Familie zu hassen. Und

deshalb bezahlt ihr für die offenen Rechnungen eurer Vorfahren.”

Und so, ohne noch etwas hinzuzufügen, reisst er das

arme Lamm in Stücke.


Der Hebel zur Lösung des Problems

„Gefressen”, sagt halb aus Bewunderung, halb aus Schreck

Mary, die wieder mal gar nichts davon hält, schon ins

Bett gesteckt zu werden. Ein anderes Fazit hat Elizabeth

Midwinter im Kopf, als sie sich eine halbe Stunde

später mit Elizabeth Richardson für die Fortsetzungsgeschichte

von Pamela zum Grotto aufmacht.

      Als die Frauen eintreten, erhebt sich Richardson,

und Elizabeth Midwinter sagt: „Ich hab den Kleinen die Fabel

A Wolf and a Lamb vorgelesen. Ich muss sagen, der

Wolf hat mich stark an Mr. B. erinnert.”

      Richardson lacht und sagt: „Ihr habt mich durchschaut.”

Mit einem Seitenblick auf die Ehefrau des Druckers, der Autor

werden will, sagt Elizabeth Midwinter: „Ich hab gleich

gedacht, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt.”

      Richardson bittet Ehefrau und Kindermädchen Platz zu

nehmen, setzt sich an den Tisch und sagt: „Was ich aus der

Fabel in den Roman übernehme, ist die Strategie, derer

sich Mr. B. bedient. Die Strategie legt die Vorgehensweise fest,

mit der ein Ziel erreicht werden soll, sie ist Schlachtplan

und Kriegslist, sie ist der Hebel zur Lösung des Problems.“

      „In der Fabel besteht sie darin, dass der Wolf einen

Vorwand benutzt, um die eigene Untat kleinzureden. Er zerreisst

das Lamm erst, nachdem er ihm vorgeworfen hat, es trübe

das Wasser, aus dem er trinke.”

      Richardson nimmt ein Manuskiptblatt zur Hand, während

die andere sich um ein Schnupftuch ballt. „Pamela ist, ihr erinnert

euch, auf Mr. B.’s Landsitz verbracht worden. Sie wird von

Mrs. Jewkes bewacht wie eine Strafgefangene. Wollt ihr, dass

ich weiterlese?”

      Seine Ehefrau lacht und sagt: “Wir sind begierig drauf

wie euer Wolf.”


Und so geht sie mit dem Scheusal

„Gefressen”, sagt halb bewundernd, halb erschrocken

Mary, die wieder mal gar nichts davon hält schon

ins Bett gesteckt zu werden. Ein anderes Fazit hat Elizabeth

Midwinter im Kopf, als sie sich eine halbe Stunde

später mit Elizabeth Richardson zum Grotto aufmacht um die Fortsetzung von Pamela zu hören.

      Als die zwei Frauen eintreten, steht Richardson am

Stehpult, und Elizabeth Midwinter sagt: „Ich hab den Kleinen

die Fabel A Wolf and a Lamb vorgelesen. Ich muss sagen,

der Wolf hat mich stark an Mr. B. erinnert.” Richardson lacht und

sagt: „Ihr habt mich durchschaut.”

      Und Elizabeth Midwinter, nicht ohne Seitenblick auf

Elizabeth Richardson: „Ich hab gleich gedacht, das eine hängt

mit dem anderen zusammen.” Richardson bittet seine Ehefrau

und ihr Kindermädchen Platz zu nehmen, setzt sich

selbst an den Tisch und sagt:

      „Was ich aus der Fabel in den Roman übernehme, ist die

Strategie, derer sich Mr. B. bedient. Die Strategie legt

die Vorgehensweise fest, mit der ein Ziel erreicht werden soll,

sie ist Schlachtplan und Kriegslist, sie ist der Hebel

zur Lösung des Problems.“

      „In der Fabel besteht sie darin, dass der Wolf einen Vorwand

benutzt um die eigene Untat kleinzureden. Er zerreisst

das Lamm erst, nachdem er ihm vorgeworfen hat, es trübe das

Wasser, aus dem er trinke.”

      Richardson nimmt ein Manuskriptblatt in die rechte Hand,

während die linke sich um ein Schnupftuch ballt.

„Pamela ist, ihr erinnert euch, auf Mr. B.’s Landsitz verbracht

worden. Sie wird von Mrs. Jewkes bewacht wie eine

Strafgefangene. Wollt ihr, dass ich weiterlese?” Seine Ehefrau

lacht und sagt: „Wir sind begierig wie euer Wolf.”

      Pamela schreibt: Mrs. Jewkes nimmt mir die Schuhe weg

und lässt mich barfuss stehen. Das erschreckt mich so, dass mir

die Kraft fehlt meine Tränen zurückzuhalten. Keine Frage,

ich bin erledigt! Ich muss hier unterbrechen.

      Jetzt will ich euch ein Bild von diesem Scheusal geben.

Sie ist ein breites, untersetztes, fettes, hässliches Ding, um die

vierzig, und hat riesige Hände und Arme, dick wie meine

Weste, ihre Nase ist platt und krumm, und die Brauen wachsen

ihr über die Augen, tote, boshafte, graue, glotzende Augen.

      Ihr Gesicht ist platt und breit und hat eine Färbung,

als hätte sie einen Monat lang in Salpetersäure gelegen. Ich

wette, sie säuft! Sie hat eine rauhe, männliche Stimme,

sie ist so dick und schaut so durchdringend, dass ich jedes Mal

Angst bekomme, sie werde mich gleich zerschmettern,

wenn ich ihr Ärger mache.

      Eben schickt sie mir die Mitteilung, dass ich meine

Schuhe wieder erhalte, wenn ich mit ihr im Garten spazieren

komme. Tja, es bringt nichts, wenn ich mich völlig

mit ihr überwerfe. Ich werde drauf nur umso schärfer kontrolliert.

Und so gehe ich mit dem Scheusal.


Die junge Madam ist wohlauf

Oh, ich bin ganz aus dem Häuschen vor Freude! Eben hab ich

meine Schuhe wieder an und höre, dass John, der ehrliche

John, gekommen ist,  zu Pferd! Gott behüte ihn! Was ist das für

eine Freude!

      Aber er sieht traurig aus, als ich ihn vom Fenster aus

erblicke! Was kann das sein? Ich hoffe, meinen Eltern geht’s gut.

Und Mrs. Jervis. Und Mr. Longman. Und allen anderen,

meinen scheusslichen Herrn nicht ausgenommen.

      John, der arme Kerl, kommt mit Mrs. Jewkes. Sie hat mir

eingeschärft nichts von den Schuhen zu sagen. Und der arme

Kerl sieht meine Not und meine geröteten Augen und

meine verstörten Blicke, vermute ich, ihm laufen die Augen über.

      „Oh, Mrs. Pamela!” sagt er. „Oh, Mrs. Pamela!”

„Tja, ehrlicher Kumpan in Diensten”, sage ich. „Ich kann’s

nicht ändern, ich bin auf eure Rechtschaffenheit und

Güte angewiesen!” Und da weint er noch mehr.

      „Sagt mir das Schlimmste!” sage ich. „Kommt mein Herr?”

„Nein, nein”, sagt er und schnupft. „Tja”, sage ich.

„Gibt’s Nachricht von Vater und Mutter? Wie geht’s ihnen?”

„Ich hoffe gut”, sagt er. „Ich weiss nichts Gegenteiliges.”

      „Ich hoffe, Mrs. Jervis ist nichts passiert. Oder Mr. Longman.

Oder meinen Mitbediensteten!” „Nein”, sagt er, der

arme Kerl! ein langgezogenes Nein, als breche ihm das Herz.

„Gottseidank”, sage ich.

      „Der Mann ist ein Verrückter”, sagt Mrs. Jewkes. „Was für

ein Getue er macht! Ihr müsst verliebt sein, John. Ihr seht, die

junge Madam ist wohlauf! Was drückt euch, Mann?”

„Gar nichts”, sagt er. „Aber ich bin verrückt. Mir kommen Freudentränen, wenn ich Mrs. Pamela sehe. Aber ich

hab einen Brief für euch.”


Sie behandelt mich immer übler

Ich nehme ihn und sehe, dass er von meinem Herrn ist,

und so stecke ich ihn in meine Tasche. Ich sage: „Mrs. Jewkes,

den braucht ihr, hoffe ich, nicht zu sehen.” „Nein, nein”,

sagt sie. „Ich sehe schon, von wem er ist. Sonst müsste ich

ihn sehen.”

      Er sagt: „Und da ist einer für euch, Mrs. Jewkes.”

Zu mir sagt er: „Aber eurer verlangt eine Antwort. Die muss

ich zurückbringen, morgen früh oder heute Nacht,

falls ich kann.”

      Das Scheusal behandelt mich immer übler! Um mich mit

Mrs. Jewkes mal anzulegen, rede ich mit einer der Mägde, und

sie fällt über uns her und sagt: „Nein, Madam, versucht nicht, Landmädchen von ihren Pflichten abzubringen. Ihr wolltet, dass

sie mit euch spazieren geht, höre ich?“

      „Merkt euch, Nan. Niemals geht ihr weg mit ihr oder tut,

was sie sagt, ohne es mich wissen zu lassen, bis in die kleinste Einzelheit. Ich bin es, der entscheidet, ob ihr mit ihr spazieren

geht! Und ich frage: Wo geht ihr hin?”

      Ich entgegne: „Warum, Mrs. Jewkes! Nur die Ulmenallee

entlang.”

      Um mir zu zeigen, wie sie alle unter Kontrolle hat, sagt sie:

„Nan, zieht Madam die Schuhe aus und bringt sie mir.”

      „Für Mrs. Pamela habt ihr nichts mehr, John?” sagt sie.

„Nein”, sagt er. „Nichts mehr. Nur aller Liebe und Aufwartung.”

„Hey, uns beiden, meint ihr wohl”, sagt sie. „John”, sage

ich. „Ich werde den Brief lesen. Passt auf euch auf, denn ihr seid

ein guter Mann. Gott behüte euch, und ich freue mich

euch zu sehen und von euch allen zu hören.”


Wegen euch beinahe in Aufruhr

So gehe ich hinauf und schliesse mich in meine Kammer

ein und öffne den Brief. Und hier ist die Abschrift:

Meine liebste Pamela, ich wende mich an euch in einer

Angelegenheit, die euch stark beschäftigt, und ich tue

das ein wenig meinetwegen, hauptsächlich aber euretwegen.

      Ich bin mir bewusst, dass ich euch gegenüber in einer

Art gehandelt hab, die alle Alarmglocken in euch in Gang setzen

und eure ehrlichen Freunde mit Besorgnis erfüllen muss.

Das einzig Erfreuliche für mich ist, dass ich all das Ungemach,

das ich euch bereite, wieder gut machen kann und will.

      Wie versprochen schrieb ich am Tag eurer Abreise

an euren Vater, er möge sich euretwegen nicht zuviele Sorgen

machen, und versicherte ihn meiner ehrenwerten Absichten

euch gegenüber, und entschuldigte, warum ihr nicht zu ihm kamt,

auf eine Weise, die ihn zufriedenstellen sollte.

      Das hat aber offenbar nicht gereicht, denn der arme

Mann kam am nächsten Morgen zu mir und brachte meine

Familie wegen euch beinahe in Aufruhr.

      Oh, mein liebes Mädchen, was hat eure Hartnäckigkeit

mir und auch euch selbst nicht schon für Ärger gebracht!

Ich konnte ihn nur mit dem Versprechen beruhigen, er bekäme

einen Brief von euch an Mrs. Jervis zu sehen, um ihn

zu überzeugen, ihr seid wohlauf.


Ihr stellt das gute Ende in Frage

All meine Sorge in diesem Fall gilt nun euren betagten

Eltern, die sich nicht grämen sollen, und euch, von der ich weiss, wiesehr ihr erfüllt seid von Pflicht und Zuneigung ihnen

gegenüber.

      Aus diesem Grund bitte ich euch ein paar Zeilen an sie

zu schreiben. Die Form dazu will ich euch vorgeben,

ich hab den Brief geschrieben und mich, so gut ich kann, in

eure Lage versetzt, und eure Empfindungen mit einer

Wärme ausgedrückt, die sich eurer fast zusehr bemächtigt.

      Nach dem, was geschehen und an dem jetzt

nichts mehr zu ändern ist, das aber, wie ich euch versichere,

für euch ehrenhaft ausgeht, erwarte ich keine Zurückweisung.

Denn ich hab keine andere Absicht als die, eure Eltern

zu beruhigen, was euren Interessen mehr entspricht als meinen.

      So muss ich euch bitten kein Tüpfelchen an dem

Untenstehenden zu ändern. Falls ihr es trotzdem tut, wird es

mir nicht möglich sein, den Brief abzuschicken, und ihr

stellt das von mir angestrebte, gute Ende in Frage.

      Ich versprach euch, nicht ohne eure Erlaubnis zu euch

zu kommen. Wenn ihr willig seid und nicht zu hadern oder aus

eurer gegenwärtigen Situation auszubrechen versucht,

will ich Wort halten, obwohl es mir schwer fällt. Eure gegenwärtige Zwangslage wird nicht lange anhalten. Ich bin entschlossen,

euch bald zu zeigen, wie ich auf euch brenne.

Der Eurige, etc.


Was sollte ich anfangen?

Der Brief, den er mir vorschreibt, liest sich wie folgt:

Liebe Mrs. Jervis, ich bin von Robin statt zu meinem Vater an

einen Ort gebracht worden, den ich nicht nennen darf.

      Ich werde aber gegenwärtig nicht hart behandelt. Ich schreibe

um euch zu bitten, Vater und Mutter, denen das Herz fast

gebrochen sein muss, wissen zu lassen, dass ich wohlauf bin.

Und dass ich ihre pflichtbewusste, ehrliche Tochter

bin und mit Gottes Gnade bleiben werde, ebenso wie die

Euch verpflichtete Freundin.

      PS: Ich darf weder Datum noch Ort nennen, aber ich hab

die feierlichste Versicherung ehrenhafter Behandlung.

      Was sollte ich anfangen mit seinem seltsamen Ersuchen

und Ansinnen? Ich wusste es nicht.

      Aber mein Herz blutete für euch, mein Vater, der ihr nach

eurer Tochter gesucht habt, ebenso wie für meine Mutter, sodass

ich mich, nahezu in der vorgegebenen Form, zu schreiben

entschloss, damit ihr es bekommt und es euch beruhigt, bis ich

euch auf die eine oder andere Art selbst den Stand

der Dinge wissen lassen kann.


Nicht das leiseste Vertrauen

Und an meinen seltsamen, schlimmen Herrn selbst

schrieb ich: Sir, wüsstet ihr um den Schmerz meines Gemüts

und wiesehr ich unter eurer schrecklich absonderlichen

Behandlung leide, ihr würdet mich bemitleiden und meine

Freilassung veranlassen.

      Was hab ich getan, dass ausgerechnet ich zur Zielscheibe

eurer Grausamkeit werde! Mir bleibt womöglich keine

Hoffnung & kein Lebenswunsch, weil ich nach dem, was

geschehen ist, nicht das leiseste Vertrauen in eure

feierlichen Versicherungen haben kann.

      Es ist unmöglich, dass sie sich mit den ehrbaren

Plänen, die ihr bekundet, vereinbaren lassen. Allein euer

Versprechen, mich in meiner jämmerlichen Leibeigenschaft nicht

zu sehen, gibt mir einen kleinen Hoffnungsschimmer.

      Treibt die arme, verwirrte Pamela nicht in den Abgrund,

ich bitte euch. Ihr zerstört sie an Körper und Seele! Ihr wisst

nicht, Sir, wie schreckhaft ich bin, schwach an Gemüt

und Intellekt, wenn mein Wertgefühl in Gefahr ist.

      Und, oh! beschleunigt meine Freilassung, damit nicht ein

armes, für einen hochrangigen Herrn belangloses Ding lächerlich gemacht wird, nur weil sie sich selbst nicht verteidigen kann

und keine Freunde hat, die ihr zu ihrem Recht verhelfen können.

      Sir, um meine Ergebenheit euch gegenüber zu zeigen,

und mehr noch, um meine Eltern zu beruhigen, deren Armut

sie von Gewalt dieser Art abhält, bin ich eurer Vorlage

des Briefes an Mrs. Jervis gefolgt, und was ich änderte (manchmal konnte ich nicht anders), ist so, dass es zwar meine

Betroffenheit durchblicken lässt, aber doch der Absicht dient,

die ihr mit diesem Brief verfolgt, wie ihr sagt.

      Um Gottes willen, Sir, erbarmt euch meiner gedrückten

Verfassung und meines gegenwärtigen, grossen Elends. Macht

es möglich, dass ich wie der Rest eurer Bediensteten

die Güte preisen kann, die ihr allen erweist ausser der armen, gequälten, im Herzen gebrochenen

Pamela.


Beim Weggehen liess er ein Papier fallen

Als ich diesen Brief und den mir von ihm vorgegebenen

geschrieben hatte, dachte ich, es müsste für Mrs. Jewkes wie ein Vertrauensbeweis aussehen ihr beide zu zeigen.

      Und gleichzeitig zeigte ich ihr den Brief meines Herrn,

denn ich dachte, die Wertschätzung, die er für mich ausdrückte,

müsste meinen Kredit erhöhen bei jemandem, der ihm

in blindem Gehorsam verpflichtet war, auch wenn ich keinen

Grund hatte stolz darauf zu sein.

      Und ich lag nicht falsch, denn es schien sie etwas beeinflusst

zu haben, und gegenwärtig tut sie mächtig gefällig und

lobt mich, wo sie nur kann. Aber den Verursacher meines Elends

und seine, wie sie sagt, ehrlichen Absichten lobt sie genauso.

      Montag. Tag fünf meiner Leibeigenschaft & Not. Ich hatte

auf eine Gelegenheit gehofft John zu sehen und mit ihm, bevor er wieder ging, ein kleines Privatgespräch zu haben. Aber es

sollte nicht sein.

      Das ausgiebige Bedauern des armen Mannes hatte

Mrs. Jewkes zur Ansicht gebracht, er sei in mich verliebt. Und

so kam sie am Morgen mit der Mitteilung, dass er gehe.

„Ich wünschte, er käme in meine Kammer”, sagte ich. Und sie

kam mit ihm.

      Und der ehrliche Kerl war, als er aufbrach, so besorgt

wie zuvor. Und ich gab ihm meine beiden Briefe, den einen

für Mrs. Jervis eingeschlossen in jenen für meinen

Herrn. Aber Mrs. Jewkes wollte sehen, wie ich sie versiegle.

      Und ich war überrascht, als er beim Weggehen oben

an der Treppe ein Papier fallen liess, das ich aufnahm, ohne

dass Mrs. Jewkes es bemerkte.


Pfui über mich Schuft!

Aber noch mehr überrascht war ich, als ich in meine Kammer zurückgekehrt war und las, was darauf stand:

      Gute Mrs. Pamela, ich schäme mich euch zu sagen, wie

sehr ihr durch einen gemeinen Hund wie mich getäuscht und

betrogen worden seid. Ich hatte zu wenig bedacht,

dass es soweit kommen könnte.

      Aber ich muss sagen, wenn es je einen Schuft auf der Welt

gab, so bin ich das. Ich hab all eure Briefe während

der ganzen Zeit meinem Herrn gezeigt. Zu diesem Zweck

allein hat er mich angestellt. Jeden einzelnen sah er

vor euren Eltern, versiegelte ihn wieder und schickte mich los.

      So hatte ich etwas Arbeit, aber nicht halb soviel, wie ich

mir vorgestellt hatte. Und sobald ich hörte, wie es um euch stand,

hätte ich mich am liebsten erhängt. Ihr könnt euch denken,

warum ich es in eurer Gegenwart nicht aushielt.

      Oh, gemeiner, gemeiner Schuft, euch da hineinzuziehen!

Solltet ihr ruiniert werden, bin ich es, der euch das eingebrockt hat. Alles, was ich euch an Gerechtigkeit widerfahren lassen

kann, ist euch zu sagen, dass ihr in bösen Händen seid. Es ist aus, fürchte ich, trotz eurer süssen Unschuld.

      Und ich glaube, nachdem ich das weiss, nie mehr so leben

zu können wie zuvor. Wenn ihr mir vergeben könnt,

seid ihr übermässig gut, aber ich werde mir selbst, das ist sicher,

nie vergeben. Wie auch immer, es ist für euch nicht gut,

wenn ihr das bekannt macht.

      Und vielleicht lebe ich weiter, um euch noch einen Dienst

zu erweisen. Wenn ich das kann, werde ich es tun. Ich bin sicher,

der Herr behielt eure letzten zwei oder drei Briefe und

schickte sie nicht ab. Ich bin der verworfenste Schuft aller Schufte.

J. Arnold.

      PS: Ihr seht, euer Verderben wurde von langer Hand

ausgeheckt. Tragt Sorge zu eurem süssen Wesen. Mrs. Jewkes

ist ein Teufel. Aber in meines Herrn anderem Haus

schlägt für euch nicht ein einziges, falsches Herz, mich

ausgenommen. Pfui über mich Schuft!

      Ach, wie so trügerisch sind Männerherzen! Dieser John,

den ich für den ehrlichsten Kerl hielt. Und ihr ebenso. Der euch

bei mir immer lobte. Und mich bei euch. Und dass nichts

zähle ausser Herzensgüte. Dieser Kerl war die ganze Zeit nichts

als ein gemeiner Heuchler und ein perfider Schuft und

hat mitgeholfen mich zu ruinieren.


Zwei Ziegelsteine auf dem Beet

Dienstag. Der Vikar Mr. Williams ist gekommen um mit

uns einen Spaziergang zu machen. Und als Mrs. Jewkes uns

mal den Rücken zuwendet, sage ich zu ihm, ermutigt

durch einen Wink, den er mir zuvor gegeben hat: „Sir, ich sehe

zwei Ziegelsteine auf dem Beet mit Petersilie. Kann man

die nicht bei Gelegenheit mit Erde bedecken, mit einer Notiz dazwischen?”

      Er sagt: „Ein guter Wink. Lasst das die Stelle sein,

die Sonnenblume beim hinteren Tor im Garten. Ich hab einen

Schlüssel dazu, es ist mein kürzester Weg in die Stadt.”

      Not macht erfinderisch. Ich bin ganz in Gedanken versunken,

als Mrs. Jewkes auf uns zutritt. „Nein, nicht besonders

angenehm”, sagt Mr. Williams, als setze er ein Gespräch fort,

das wir gerade führen.

      „Was denn? Was denn?” fragt sie. „Nur die Stadt”, sagt er.

„Ich sagte gerade, sie ist nicht besonders angenehm.” „Nein”,

sagt sie. „Nicht besonders. Eine armselige Stadt, glaube

ich.” „Gibt’s da überhaupt Adlige?” frage ich. Und so plaudern

wir über die Stadt um Mrs. Jewkes zu täuschen.


Es läuft auf meinen Ruin hinaus

Abends gehe ich zu ihr und sage: „Da es noch nicht

dunkel ist, würde ich gern im Garten noch eine Runde drehen.”

„Es ist zu spät”, sagt sie. „Aber wenn ihr unbedingt

gehen wollt, so geht. Und ihr, Nan, begleitet Madam.” Madam

nennt sie mich!

      So gehe ich zum Teich, die Magd folgt mir, und absichtlich

lasse ich mein Taschentuch fallen. Und als wir zu den

Ziegelsteinen kommen, sage ich: „Mrs. Ann, ich hab mein

Taschentuch verloren. Seid so gut und geht mal

nachschauen. Ich hab’s beim Teich hervorgezogen.”

      Die Magd geht nachschauen und ich stecke die Notiz

zwischen die Ziegelsteine, die ich, so rasch ich kann,

leicht und unauffällig mit Erde bedecke. Die Magd hat das

Taschentuch gefunden, ich nehme es und stecke

es ein und treffe auch schon auf Mrs. Jewkes, die gekommen

ist um nach mir zu sehen. Was ich geschrieben hab,

ist dies:

      Euer Hochwürden, das Verlangen nach einer Gelegenheit,

mich euch anzuvertrauen, muss die Gewagtheit eines

armen Dings entschuldigen, das mit schlimmsten Absichten

betrogen wurde, wie ich Grund habe anzunehmen.

      Sicher habt ihr von meiner Geschichte gehört, meiner

ärmlichen Herkunft, deren ich mich nicht schäme, der

Güte meiner verstorbenen Lady, den Absichten meines Herrn mir

gegenüber, der Ehre, die er verspricht usw.

      Aber die Ehre der Gemeinen besteht aus Schande,

Schamgefühl und Ehrlichkeit. Er denkt, er hielte

seine Versprechen, je nach der Vorstellung, welcher er gerade

anhängt. Aber für mich und sonstwen läuft es darauf

hinaus mich zu ruinieren.


Ein Weg für meine Flucht

Mir geht es mies, und von Mrs. Jewkes, dieser fehlgeleiteten

Frau, werde ich so übel behandelt, dass ich die

Gelegenheit ergreife, die der Wink dieses glücklichen Tages

meinen Hoffnungen bietet, um mich eurer Güte

vorbehaltlos anzuvertrauen.

      Denn sollte dies fehlschlagen, schlimmer, als es um mich

steht, kann es nicht kommen. Aber das wird es dank

eurem Einfluss auch nicht. Denn ich sehe es, Sir, an euren

Blicken, ich erhoffe es durch euer Vikarsgewand,

und ich zweifle nicht an eurer Anteilnahme an einem Unglück

wie dem meinen.

      Indem ihr mir aus dem Elend heraushelft, Sir, vereinigt ihr

alle religiösen Gebote in einem einzigen. Ihr erweist

einer armen Unglücklichen, die, glaubt mir, Sir, bis zu dieser

Stunde vom Pfad ihrer Unschuld nicht abgewichen ist,

höchste Barmherzigkeit und Nächstenliebe.

      Lässt sich nicht ein Weg für meine Flucht finden,

ohne Gefahr für euch selbst? Gibt es keinen Gentleman, keine aufrichtige Lady in der Nachbarschaft, zu denen ich

flüchten kann, bis ich einen Weg finde um zu meinen Eltern

zu gelangen?

      Kann Mrs. Davers nicht von meiner traurigen Geschichte

in Kenntnis gesetzt werden, indem ihr ein Brief von

euch zugestellt wird? Meine armen Eltern sind in dieser Welt

so niedriggestellt, dass sie nichts weiter für mich tun

können, als dass es ihnen meinetwegen das Herz bricht. Und

das ist mein Ende, fürchte ich.


Das Versprechen einer Person

Mein Herr verspricht nicht herzukommen ohne meine

Einwilligung, falls ich mich, wie er es nennt, in meiner gegenwärtigen Lage wohlverhalte. Leider bedeutet das nichts, Sir, denn

was ist das Versprechen einer Person wert, die sich berechtigt

glaubt mit mir zu verfahren, wie er es tut?

      Falls er herkommt, so um mich zu ruinieren, und herkommen

wird er, das ist gewiss, sobald er glaubt, er hätte den

Protest meiner Freunde erstickt und mich, wie er zweifellos

hofft, in fatale Sicherheit eingelullt.

      Deshalb ist es höchste Zeit, dass ich mir etwas ausdenke

und kämpfe um meine Ehre zu retten. Bin ich noch da,

wenn er kommt, bin ich verloren. Ihr habt einen Schlüssel zum

hinteren Tor im Garten. Das lässt mich hoffen. Überlegt

es euch, Sir, denkt euch etwas für mich aus. Ich werde euer

Geheimnis bewahren. Ihr sollt wegen mir keinen

Schaden haben.

      Mehr sage ich nicht und übergebe dies den glücklichen

Ziegelsteinen und dem Busen dieser Erde, aus der meine Befreiung hoffentlich ihren Anfang nimmt und Früchte trägt, die zu

meiner Freude und eurer Belohnung heranreifen, jetzt und auf immerdar. Dafür betet

      Eure unterdrückteste, ergebene Dienerin.


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