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DER LACHANFALL


„Du bist echt eine Klassefrau. Verrätst du mir”,

mailt Chris, „deine Busengrösse?” Maxi Biewer hatte einen Lachanfall bekommen, während sie im

RTL-Frühstücksfernsehen das Wetter präsentierte.



               Fritz Hirzel, Passagiere des Glücks. Wem Lachen auf

               die Sprünge hilft. Essay. 140 Seiten. Berlin 2004


Jetzt schwillt die Fanpost an, sie ist in Menschen Bilder

Emotionen 2001 bei Günther Jauch aufgetreten.

Der Lachanfall hat sie geadelt. Humor im Fernsehen

hat Pampers an.


Was hat Sich totlachen mit Glück zu tun?  

„Wir sterben vor Lachen, wachen wieder auf von

diesem schönen Tod und sterben ein zweites

Mal”, schreibt Robert Walser 1908 im Tagebuch eines

Schülers. Sich kaputt, sich zutode lachen, sterben

vor Lachen: Was hat das mit Glück zu tun?

      Leute werden vom Lachen erfasst, ja fortgetragen.

Aber werden sie gebeten sich anzuschnallen?

Sind sie Passagiere des Glücks? Auch wenn Redewendungen übertreiben, auch wenn Lachen als Todesursache

nicht festgestellt wird: Der Lachanfall ist eine Karambolage.

      Nur wissen wir nicht, was in uns eigentlich zusammenprallt.

Das unser Zwerchfell erschütternde Gelächter

vollzieht einen „Neustart”, um einen Begriff des Computeranwenders

zu benutzen, der auch einen Marketing-Guru wie

Tom Peters inspiriert hat.

      Das Gelächter befreit die Sinne, setzt für Augenblicke

die Ordnung ausser Kraft, hebt mit uns ab und lässt uns erschöpft,

im Zustand einer Entspannung zurück, bei der Körpermuskulatur, Blutdruck und Herzfrequenz tief unter Normalwert liegen.


Das Mädchen seift Joe Grimaldi ein  

Joe Grimaldi berichtet in seinen Memoiren von einem

Lachanfall, der sich 1817 in einem Barbierladen

ereignet hat, am zweiten Tag nach seiner Ankunft in Preston,

auf Tournee in der Provinz.

      Der Clown geht in der Nähe des Marktplatzes die Strasse

entlang, als er das Ladenschild eines Barbiers bemerkt

und ihm einfällt, dass er eine Rasur braucht. Als er eintritt,

begrüsst ihn ein hübsches, sechzehnjähriges Mädchen,

das im Laden sitzt und näht.

      Ob der Meister da sei, fragt er. „Nein, mein Herr”, antwortet

sie. „Aber ich erwarte ihn jeden Augenblick.” Sehr gut, sagt

Grimaldi, dann schaue er sich draussen noch ein wenig um und

komme dann wieder.

      Eine Weile streift er auf dem Marktplatz umher und

geht dann zurück zu dem Barbierladen, aber der Meister ist

immer noch nicht da.

      Grimaldi geht erneut die Strasse entlang und trifft Mr.

Howard, den Direktor des Theaters, in dem er auftritt. Plaudernd

geht er mit ihm weiter, kommt wieder am Barbierladen vorbei

und schaut hinein.

      Es tue ihr wirklich leid, aber ihr Vater sei immer noch

nicht gekommen, sagt das Mädchen und legt die Näharbeit aus der

Hand. Das sei ärgerlich, sagt Grimaldi. Er sei jetzt dreimal

hier gewesen. Das Mädchen stimmt ihm zu, tritt in die Tür und

schaut unruhig die Strasse hinauf und hinunter, aber der

Barbier ist nicht in Sicht.

      „Wollen Sie ihn aus einem besonderen Grund sprechen?”

fragt Howard. Aber nein, nein, sagt Grimaldi, er wolle nur rasiert werden. „Rasiert werden?” ruft das Mädchen. „O du meine

Güte!” Schade, habe er das nicht gleich gesagt, denn sie rasiere

meist die Herren. Stimmt, sagt Howard, mindestens

fünfzigmal sei er von ihr rasiert worden.

      „Na sowas! Nun, ich hab nichts dagegen. Ich bin bereit,

meine Liebe.” Grimaldi nimmt im Sessel Platz, das Mädchen seift

ihn ein, und er spürt eine fast unwiderstehliche Lust, über die

Situation in Lachen auszubrechen, und während sie sein Kinn

rasiert, hält er sich nur mit äusserster Anstrengung zurück.


Der Barbier wirft sich in den Sessel  

Schliesslich, als sie an die Oberlippe kommt und mit einem

Stückchen Packpapier seine Nase zwischen zwei

Fingern hochzieht, kann er sich nicht mehr halten, bricht in

schallendes Gelächter aus und schneidet Howard

eine Grimasse.

      Die sieht das Mädchen, lässt das Rasiermesser sinken

und fängt ebenfalls an, wie von Sinnen zu lachen, was Grimaldi

noch mehr zum Lachen bringt.

      In diesem Augenblick kommt der Barbier herein. Er sieht

drei Personen, die sich vor Lachen biegen, eine mit eingeseiftem Gesicht und riesigem Mund, die über dem weissen Handtuch

die unglaublichsten Grimassen schneidet.

      Er wirft sich umstandslos in einen Sessel, lässt den Hut

zu Boden fallen, lacht lauter als alle anderen, und erst, als er wieder

zu Atem kommt, sagt er in abgerissenem Ton, der Herr,

der da rasiert werde, sei der komischste Herr, den er je gesehen

habe, bittet ihn aber, mit den Grimassen aufzuhören,

sonst sterbe er vor Lachen.

      Charles Dickens, der der Herausgeber der Memoirs of Joseph

Grimaldi ist, fügt hinzu, Grimaldi habe beabsichtigt, diesen

Lachanfall als Szene auf die Bühne zu bringen. Den Vorsatz hat

der Clown aber nie verwirklicht. Er stirbt 1837, im Jahr drauf

stellt Dickens das Buch vor.


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Der Lachanfall

Maxi Biewer 

RTL