Delphi, Berlin Location Bild & Clip weiter zurück
FEMINA
Am Tauentzien in Schöneberg, Nürnberger
Strasse, gleich hinterm KaDeWe, befindet sich in
den 1930ern in einem rückwärtigen Gebäude,
das nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen wird,
der Femina-Tanzpalast.
Das Femina setzt neue Massstäbe:
Vestibül aus Marmor, mehrere Bars, grosser Tanzsaal
mit Oberlicht, erste Tanzkapellen, effektvolle Beleuchtung,
zwei Ränge bis zur Decke aufsteigend, Tischtelefone,
Rohrpostbriefe, die Mädchen in Uniform überbringen, Tanzfläche erhöhbar, wenn elegante Tanzpaare, Grotesktänzer,
Ballette auftreten.
Lotte Lenya (in Lys Symonette / Kim H. Kowalke,
Sprich leise, wenn du Liebe sagst, Der Briefwechsel Kurt
Weill – Lotte Lenya, Köln 1998) erinnert sich:
„Kurt Weill und Caspar Neher gingen oft für ein paar
Stunden ins Femina, eine riesengrosse Tanzdiele, wo sie die
schönsten Tänzerinnen und ihre Kunden bewunderten
und den damals wohl besten Tanzorchestern Berlins lauschten.“
Kurt Weill, der Komponist der Dreigroschenoper,
emigriert 1933. In die Flucht treiben die Nazis auch Heinrich
Liemann. Er ist der Gastronom, der das Femina
1929 eröffnet hat. Das Gastgewerbeblatt Berliner Herold
frohlockt über sein „Verschwinden“.
Unter den Nazis wird im Femina die Texas Bar durch
das Puszta ersetzt, drei andere Musiklokale heissen Casino,
Schoppenstube und Siechen.
im Femina verkehren die Swing-Fans um Dieter Zimmerli
aus Münster. „Wenn sie sich in Berlin aufhielten, machten
ihnen die Tischtelefone und das Rohrpostsystem in der Femina
grossen Spass; dort suchten sie erotische Abenteuer
zu den Melodien von Stauffers Schweizer Teddies“, so Michael H. Kater in Forbidden Fruit?.
Joseph Goebbels hätte gerne Marlene Dietrich
wieder in Berlin. Der Hollywoodstar winkt ab. Jetzt baut
der NS-Propagandaminister Zarah Leander auf.
Und heute? Zwar gibt‘s das Femina nicht mehr, erhalten
geblieben ist aber das imposante Vorderhaus, mit
der glatten, 150 m langen, braunrotem Travertin-Fassade
ein Baudenkmal der Neuen Sachlichkeit.
Endlos lange Flure mit Büros, in die nach dem Zweiten
Weltkrieg Steuerkommissare des Finanzamts einziehen.
2006 wird das Haus nach siebenjährigem Leerstand umgebaut.
Jetzt firmiert es als Drei-Stern-Hotel Ellington.
Mit dem Namen vermarktet die Hotelkette ein Stück Fortsetzungsgeschichte des Femina.
Im Jazzlokal Die Badewanne, das Helmut Brandt in den
1950er und 1960er Jahren im Vorderhaus führt, wo das
Puszta gewesen war, sind Musiker wie Duke Ellington, Ella
Fitzgerald oder Count Basie aufgetreten.
Fritz Hirzel, Delphi, Berlin.Teddy Stauffer 1936–1939.
282 Seiten, bebildert. Kaleidoskop. Paperback.
Zürich 2001.
„Ich glaube, ich habe hier sehr grosse Chancen und ich
halte es glatt für möglich, dass ich einen sehr grossen Vertrag
hier bekomme, weil jeder sagt, es gibt überhaupt keine
Konkurrenz für mich hier und man braucht dringend Leute
wie mich.“ Das schreibt Kurt Weill, Hollywood, an Lotte
Lenya, New York. Es ist Sonntag, der 28. Januar 1937. Kurt Weill durchlebt seit 1935 Hoch und Tief eines Komponisten
an Broadway und in Hollywood.
Ins Exil geht Kurt Weill 1933. Es sind die Märztage,
ehe die Nazis an die Macht kommen. Walter Steinthal ruft ihn
an. Er drängt ihn, Berlin zu verlassen und anderswo
abzuwarten, was am 23. März aus Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ würde. Steinthal handelt auf Rat von Hans Fallada,
der inzwischen bereits verhaftet ist. Während Weill im Café
Wien wartet, ist Lenya nach Kleinmachnow in ihr Haus
gefahren, das Wichtigste zu packen. Bei ihr ist die Fotografin
Louise Hartung. Die beiden Frauen holen Weill ab und
fahren die Nacht durch nach München, wo sie am anderen
Morgen im Hotel Vier Jahreszeiten absteigen. Am 21.
März packt Weill einen kleinen Koffer und fährt mit Caspar und
Erika Neher in deren Wagen Richtung französischer
Grenze. Sein Reisepass bezeugt, dass er am nächsten Tag
„mit Devisen im Gegenwert von ffr. 500.– zum Zwecke
des Reiseverkehrs in Frankreich im Monat März 1933“ bei
Lunéville südlich von Luxemburg über die Grenze geht.
Kurt Weill, Sohn eines jüdischen Kantors aus
Dessau, hat in Berlin Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny
und Die Dreigroschenoper komponiert.
Lotte Lenya (in Lys Symonette / Kim H. Kowalke,
Sprich leise, wenn du Liebe sagst, Der Briefwechsel Kurt
Weill – Lotte Lenya, Köln 1998) erinnert sich:
„Kurt Weill und Caspar Neher waren sofort gute
Freunde geworden und gingen oft für ein paar Stunden ins
Femina, eine riesengrosse Tanzdiele, wo sie die
schönsten Tänzerinnen und ihre Kunden bewunderten
und dem damals wohl besten Tanzorchester Berlins
lauschten. Dieses Orchester spielte ausser den neuesten
Schlagern von Spoliansky und Hollaender zweifellos
auch amerikanische Songs. Ende der 20er Jahre wurde ein
junger amerikanischer Komponist zu uns mitgebracht –
auf eigenen Wunsch, nachdem er Die Dreigroschenoper
gesehen hatte; er hiess George Gershwin. Später
in New York sollten wir ihn gut kennenlernen, aber damals
war uns der Name Gershwin noch völlig unbekannt.“
George Gershwin reist 1928 in die Ferien nach Europa,
wo er 30jährig in Paris den Premieren von Rhapsody
in Blue und Concerto in F. beiwohnt. Er hat die Revue Swanee
komponiert (der Song ist, von Al Jolson gesungen, ein
US-Platten-Hit geworden); er hat Broadway-Musicals – Tell Me
More; Tip Toes; Strike Up the Band; Funny Face; Rosalie –
gemacht und populäre Songs – Somebody Loves Me; Lady Be Good; Do It Again; The Man I Love – geschrieben. „In sich
hineingesogen“ hätten sie die 78 Touren der Rhapsody in Blue,
als die Platte in Berlin in den Handel gekommen sei.
Das sagt in einem Radio-Interview der Komponist Friedrich
Hollaender. Er führt Rhapsody in Blue auch auf – mit
den Weintraub Syncopaters (obwohl die sechs und keine 20
Musiker sind), indem jeder fliegend die Instrumente
wechselt. Dass in der Erinnerung von Lotte Lenya „der Name
Gershwin völlig unbekannt“ ist, hat vielleicht damit
zu tun, dass sie ihm die Bemerkung nie verziehen hat, die er
auf einer Party in New York fallen lässt, als er Kurt
Weill ein Kompliment für die Telefunken-Aufnahme der Dreigroschenoper macht und beifügt, allerdings
gefalle ihm die Stimme der Sängerin nicht – ihre Stimme,
die der grosse Alfred Kerr „sehr, aber sehr gut“
genannt hat...
Ebenfalls in die Emigration getrieben haben die Nazis
1933 Heinrich Liemann, der die Femina 1929 als Gastronom
eröffnet hat. Er setzt mit seinem Tanzpalast an der
Nürnberger Strasse neue Massstäbe: Fassade aus braunrotem Travertin, Vestibül aus Marmor, mehrere Bars, der grosse
Tanzsaal in einem rückwärtigen Gebäude mit Oberlicht, zwei
Ränge bis zur Decke aufsteigend, Tischtelefone,
Rohrpostbriefe, die Mädchen in Uniform überbringen,
Tanzfläche erhöhbar, wenn elegante Tanzpaare,
Grotesktänzer, Ballette auftreten, erste Tanzkapellen,
effektvolle Beleuchtung. Als er 1933 mit Ehefrau
Fanny, Sohn Rolf und Tochter Ilse Deutschland verlassen
muss, frohlockt das Gastgewerbeblatt Berliner Herold
geradezu über sein „Verschwinden“. Der Gastronom Heinrich
Liemann sucht mit seiner Ehefrau Fanny im Exil eine
neue Existenz – erst in Paris, dann in Wien und Prag. Letzte
Station ist London, allerdings ohne Rolf und Ilse, da
Grossbritannien ihnen die Einreise verweigert.
Fanny Liemann (Ihr Brief ist Exponat der Ausstellung
Juden in Berlin 1938–1945, welche die Stiftung Neue
Synagoge Berlin – Centrum Judaicum von Mai bis August 2000
in Berlin zeigt.) schreibt:
„Als ich Deutschland 1933 verliess, war ich eine
gesunde junge Frau, sehr sportlich (reiten), ich hatte keinerlei
Krankheiten, hatte zwei Kinder, keine Abtreibungen.
In Folge des Herumwanderns in der Weltgeschichte und den vollkommen veränderten Lebensbedingungen, die aus
der erzwungenen Emigration entstanden sind, bin ich herz- und
nervenleidend geworden.“
Heinrich Liemann stirbt am 11. August 1940 in London.
Zwei Jahre lang, bis 1935, bleibt die Femina geschlossen.
Bei der Neueröffnung spielen im grossen Tanzsaal „Oskar
Joost und seine 15 Solisten“.
In der Femina tritt nach Telefunkenplatten- und
Olympiade-Erfolg im Delphi jetzt regelmässig auch Teddy
Stauffer mit seinen Original Teddies auf.
Für Bob E. Huber, einen der Trompeter der Swingband, sind
die Merkmale des Aufstiegs unverkennbar:
„Vorher, als wir zum Beispiel in der Kakadu-Bar
gespielt haben, da kamen die Leute vor allem wegen des
Variété-Programms oder um Frauen kennenzulernen.
Im Delphi und später auch in der Femina, da kamen die Leute –
überwiegend jüngeres Publikum –, um zu tanzen und
um unsere Musik zu hören; richtige Fans hatten wir. Walzer, die
waren gar nicht verlangt. Wir spielten viel amerikanische
Titel, gute Jazz-Nummern, mal einen Tango oder so etwas.
Probleme hatten wir deswegen nicht; es hat nie jemand
eine Bemerkung gemacht, wir sollten keine amerikanischen
Nummern spielen.“
Geworben wird für das „Swing-Orchester Teddy
Stauffer mit seinen Original Teddies“. Das Femina-Plakat
hängt im September 1937 bei der Gedächtniskirche
an einer Litfasssäule über der „Bekanntmachung“ zu einer Verdunkelungsübung. Es ist bereits die zweite.
Die erste hat 1935 stattgefunden. Vor der als „Fest der Jugend,
des Friedens und der Schönheit“ angepriesenen Olympiade.
Teddy Stauffer (in Es war und ist ein herrliches
Leben, Berlin 1968) erinnert sich:
,Jeder Betrieb erhielt seinen NS-Betriebsobmann.
Der wurde nicht etwa gewählt, sondern von oben bestimmt. Massgebend war seine politische Zuverlässigkeit. Der
Einfachheit halber hielt man sich an die Mitgliedsnummer bei
der Partei oder einer ihrer angeschlossenen Verbände.
Wer früh dabei war, galt als zuverlässig. Dass zur Zuverlässigkeit
auch ein wenig Verstand gehört, wurde übersehen. In der
Femina-Bar vertrat der Zigarettenverkäufer als Betriebsobmann
den Staat. Der Chef des Hauses konnte keinen
Entschluss fassen, ohne sich mit ihm zu beraten. Das raffinierte
Spitzelsystem machte es nun auch für Ausländer
gefährlich, offen zu sagen, was sie dachten. Doch wer überwacht
wird, findet immer wieder Möglichkeiten, seinen
Bewachern ein Schnippchen zu schlagen. Wir verdächtigten
sogar einen neu zu uns gekommenen Musiker, ein
Spitzel zu sein. Wollten wir uns in seiner Gegenwart etwas
sagen, so begannen wir unsere Rede mit den Worten:
,Ich träumte letzte Nacht...´“
„Bald zeigte sich, dass wir mit unserem Verdacht
und unserer Vorsicht gegen den Neuen in unserer Runde recht
hatten. Wir sassen vor Beginn unseres Auftritts
zusammen und unterhielten uns, als Pole Guggisberg eine
Berliner lllustrirte entdeckte. Er nahm sie, betrachtete
das Titelbild und lachte fürchterlich. Dann hielt er die Zeitung
hoch und rief: ,Schaut mal her, die Fratellinis!´“
„Nun brachen auch wir in schallendes Gelächter aus.
Die Fratellinis waren damals die berühmtesten Zirkusclowns
der Welt, drei Spassmacher von zwerchfellerschütternder
Komik. Auf der Illustrirten-Titelseite aber waren Hitler, Goebbels
und Göring abgebildet. Unser Neuer hörte sich das
Gelächter kurz an, dann schoss er von seinem Stuhl hoch
wie eine Rakete. ,Das ist Beleidigung des Führers!´
donnerte er. ,Und das wird seine Folgen haben, merkt euch
das.´ Es hatte keine Folgen. Vielleicht haben sogar
die höheren NS-Funktionäre den Spass für zu harmlos oder
für gut gehalten. Es ist ja oft so, dass die Kleinen
hitziger sind als die Grossen. Nicht nur in der Politik.“
(Teddy Stauffers Memoiren, Es war und ist ein herrliches
Leben, hat Fritz Langour verfasst, der verschiedenste
Bücher veröffentlicht, unter anderem auch einen Titel wie Naturheilkunde – Langour ist kein Swing-Fan, er ist
ein Hitlerjunge gewesen, bei der Reichspogromnacht 1938
ist er elfjährig.)
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