Thomas Hudson, Charles Jennens, circa 1744. Jennens ist der

Librettist von Messiah. Er schwört nicht auf Gott, er schwört nicht auf

den König. Und für den Glauben seiner Religionsgemeinschaft,

der Nonjurors, nimmt er Nachteile in Kauf. Aber das Frömmelnde des Überzeugungstäters geht ebenfalls mit ihm durch.


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DER NICHT SCHWÖRT

 

Der Librettist Charles Jennens fühlt sich nicht

wohl, sobald Frauen in Gesellschaft mit dabei sind.

Er hat das Balliol College Oxford besucht, aber

nicht graduiert. Er hätte einen Eid ablegen müssen,

und ein Nonjuror schwört nicht.



               Neil Coke, Jeder eine Fackel in der Hand. Roman.

               Donnerstag, 20. Dezember 1739


Galatea, dry thy tears! singt der Schlusschor. Galatea,

trocknet eure Augen! Auch diese Wiederaufnahme lebt aus

dem Detail, das Händel neu in die Aufführung einbringt.

      Er geht auf die Sänger ein, die er zur Verfügung

hat, er ändert für sie auch schon mal die Partitur. Als er Acis

and Galatea in die neue Saison aufnimmt, baut er das

Stück um, er gibt es erstmals in vollständig englischer Fassung.

      Und er baut erneut das Instrument ein, das er letztes

Jahr entdeckt hat, das Carillon. Das Glockenspiel erquickt die Seele,

er selbst schlägt drauf die Töne an. Die ergreifen in der

Skala ihrer Frische stets von neuem und lassen das Publikum hinschmelzen, wie er in seinem Rücken spüren kann.

      Noch sitzt er aber in der Garderobe und blickt in den

Spiegel, als Ebelin eintritt und sagt: „Ich hab nachgeschaut.

Es ist alles, wie es sein soll.” Ebelin bleibt bei der Tür

stehen, sieht Händel an und lacht. „Ich freue mich schon auf

das Carillon”, sagt er.

      Händel hebt die Hand, wägt ab und sagt: „Mr. Jennens kommt

heute in die Aufführung. Habt ihr ihn schon gesehen?” Ebelin sagt:

„Ja, vorhin. Beim Einlass.” Er zieht die Tür zu und geht.

      Es ist Donnerstag, 20. Dezember 1739, und Heidegger,

der die Anzeige für Acis and Galatea in The London Daily Post einrücken lässt, kommt ohne Händels Namen aus:

      Lincoln’s Inn Fields. Im Royal Theatre in Lincoln’s Inn Fields

wird heute Acis and Galatea aufgeführt, eine Serenata.

Mit zwei neuen Concertos für mehrere Instrumente, nie aufgeführt

ausser einmal.

      Anschliessend die letzte, neue Ode von Mr. Dryden

und ein Concerto auf der Orgel. Letzte Aufführung bis nach den

Ferien. Logen eine halbe Guinea, Parkett 5 Shilling,

Erster Rang 3 Shilling, Oberer Rang 2 Shilling. Beginn sechs Uhr.


In diesen degenerierten Tagen

Acis and Galatea, wirbt Heidegger an anderer Stelle,

is revived & restored to its original all-English Form with a new additional Chorus, Violas & Carillon added. Acis and

Galatea wird wieder aufgenommen, zur originalen, komplett

englischen Fassung umgestaltet & mit neuem,

zusätzlichem Chor, Violas & Glockenspiel ergänzt.

      Glatt ersetzt die Erwähnung des Glockenspiels in der

Anzeige den Hinweis, dass das Lincoln’s Inn Fields Theatre

gut geheizt sein wird. Das Glockenspiel hat Händel

erstmals eingesetzt, als er letzte Saison Saul und Israel in

Egypt macht.

      Der Rechtsanwalt Thomas Harris schreibt 1738:

      Mr. Handell beabsichtigt, wie ich höre, in seine Aufführung

mehrere alte Instrumente einzubauen, wie sie in der

Zeit von König David verwendet wurden, als die Musik ihre

grösste Perfektion erreichte, wie der alte Ashe sagt.

      Ich meine Posaunen, Pauken und Glockenspiele.

Wie die in diesen degenerierten Tagen aufgenommen werden,

wage ich nicht zu beurteilen.


Aus dem Fenster der Wohnung gesprungen

Thomas Harris schreibt das an seinen Bruder James

Harris in Salisbury. Staunen? Ungläubigkeit? Eher Irritation,

eher Ablehnung oder Befremden, selbst im engeren

Kreis, bei Freunden.

      Auch Katherine Knatchbull scheint der Neuheit

nicht zu trauen, sie schreibt an ihren Halbbruder James

Harris:

      Er hat auch die Posaune eingeführt, eine Art Trompete,

mit mehr Vielfalt an Noten & sieben oder acht Fuss lang & lässt

sich wie ein Fernglas einziehen, sodass es auf drei Fuss

verkürzt wird, oder auf volle Länge ausziehen, ganz nach Belieben

des Spielers. Verachtet diese Beschreibung nicht, denn ich

zitiere nach seinen eigenen Worten.

      Auftritt Charles Jennens, Librettist, Privatier, Sammler,

Herausgeber. Er steht beim Einlass. „Ticket, please”, sagt an der Sperre der Ordner, genau wie der Kollege nebenan: „Ticket, please.” Jennens zeigt sein Ticket, sieht Ebelin, der beim Einlass

steht, tritt ins Foyer. „The new textbook!” sagt die Verkäuferin.

„The new textbook!”

      Jennens geht an der Verkäuferin vorbei, sieht sich im Foyer,

wo einige Gesellschaft plaudernd herumsteht, einen Moment um

und nimmt drauf im Parkett Platz, er allein.

      Er hat nie geheiratet, darin ist er Händel verwandt. Er wird

einen Landsitz in Gopsall, Leicestershire, erben, aber

noch lebt er dort mit seinem Vater im selben Haus, was er als

eine Zumutung empfindet.

      Sein jüngerer Bruder Robert Jennens ist der Tradition

der Familie gefolgt und hat erst in Oxford, drauf am Seminar in Lincoln’s Inn Fields Recht studiert.

      Sollte nicht auch Händel nach dem Willen seines Vaters,

des Chirurgen in Halle, Recht studieren? Nur, was ist aus Robert Jennens geworden? Mit achtundzwanzig hat er sich die

Kehle durchgeschnitten und ist aus dem Fenster seiner Wohnung

in Middle Temple gesprungen.


Seine dritte Macke ist ein Hallelujah

Charles Jennens ist da anders. Als er die Niederlande,

Deutschland und Nordfrankreich bereist, lässt er sich aus

Florenz ein Pianoforte zustellen. Das ist 1732 gewesen. Und was Jennens ordert, ist eines der ersten dieser Instrumente in Grossbritannien. Entdeckerfreude? Neugier?

      Letztes Jahr, als er bei Händel an der Brook Street per Zufall

ein ihm nicht bekanntes Tasteninstrument entdeckt,

das Carillon oder Trumscheit, wie das Glockenspiel auch

genannt wird, reagiert Jennens brüsk, um nicht zu

sagen abweisend.

      Er schreibt an seinen Cousin Lord Guernsey:

      Händel hat mehr denn je Macken im Kopf. Gestern fand ich

in seiner Wohnung ein äusserst seltsames Instrument. Er nennt

es Carillon, und manche, sagt er, nennen es Tubalcain.

      Ich nehme an, weil es in Aufbau und Klang einem Satz von

Hämmern gleicht, die auf Ambosse schlagen. Es wird

wie ein Cembalo mit Tasten gespielt. Mit diesem zyklopischen Instrument hat er vor, den armen Saul total verrückt

zu machen.

      Jennens ist der Librettist von Saul, aber er merkt nicht,

dass Händel einen Witz macht. Thubal-Kain heisst der Schmied

im Alten Testament! Ironie ist Jennens’ Sache nicht,

dafür streift er Händels Finanzen und erwähnt Dr. Jonathan Morse,

der eine schlanke Orgel gebaut hat, die freie Sicht auf

Solisten und Orchester bietet, als er über Händel weiter schreibt:

      Da er zuviel Geld hat, ist seine zweite Macke eine Orgel

für fünfhundert Pfund. Er hat sie bei einem gewissen Moss in

Barnet bestellt, und er sagt, die Orgel sei so gebaut,

dass er seine Mitwirkenden besser dirigieren könne, wenn

er an ihr sitze.

      Und er ist hocherfreut bei dem Gedanken, mit welch einer

Präzision sein Oratorio mit Hilfe dieser Orgel aufgeführt wird. Er

wird also in Zukunft bei seinen Oratorios nicht mehr

den Takt schlagen, sondern die ganze Zeit an der Orgel sitzen,

mit dem Rücken zum Publikum.

      Und seine dritte Macke ist ein Hallelujah, das er ans Ende des Oratorios gemogelt hat, als ich auf dem Lande weilte.


Die Unterhaltung wird zu lang

So ist das also, wenn Jennens nicht nach dem Rechten sieht.

Das Hallelujah hat Händel als Finale eingesetzt, ein

Feuerwerk gehört ans Ende des Abends. Aber das versteht

sein Librettist nicht, mehr noch: Händel erhört

den Protest, und Jennens fährt in seinem Brief fort:

      Er war nämlich der Meinung, der Schluss des Oratorios sei

nicht grossartig genug. Sollte das der Fall sein, so wäre das sein eigener Fehler, denn der Text hätte der grossartigsten

Vertonung standgehalten. Aber so grossartig dieses Hallelujah

auch sein mag, es steht nun völlig unsinnig da und hat

keinerlei Bezug zu dem, was ihm vorangeht.

      Und das ist umso ungewöhnlicher, als er sich weigerte

ein Hallelujah ans Ende des ersten Chors zu setzen, wo ich eins vorgesehen hatte und wo es sich absolut schlüssig

einführen lässt. Er behauptete, die Unterhaltung würde zu lang.


Jennens gefällt das Wort nicht

The Entertainment, die Unterhaltung. Das ist das Wort,

das Händel verwendet. Aber Jennens gefällt das

Wort nicht, er hält nichts von Entertainment. Das Piano oder

Pianoforte, die mit Sammlerehrgeiz georderte Rarität,

hat er in seinem Londoner Domizil untergebracht, im Haus Queen Square 8, das seinem Schwager William Hammer gehört.

      Hier, bei seiner Schwester Esther, wohnt Jennens, wenn er in

der Stadt ist, und das ist er jeden Winter. Aber Neugier? Entdeckerfreude? Jennens tickt anders. Jennens ist überzeugt

den Durchblick zu haben, immer schon, immer noch.

Jennens ist nachdenklich, nicht fröhlich, penseroso, non allegro.

      Jennens, der Nonjuror! Nein, Jennens schwört nicht.

Er schwört nicht auf Gott, er schwört nicht auf den König, und

für den Glauben der Nonjurors, einer Religionsgemeinschaft

innerhalb der anglikanischen Kirche, das ist wahr, hat Jennens Nachteile in Kauf genommen. Aber das Frömmelnde

des Überzeugungstäters geht ebenfalls mit Jennens durch.


Die Spiellaune, wenn er Teil zwei eröffnet

Seit einer Dreiviertelstunde läuft Acis and Galatea.

Welche Spiellaune, denkt Ebelin, als Händel auf der Orgel

mit dem Orchester Teil zwei eröffnet, und die Liebe

des Paares auf das zutreibt, was in der kleinen Oper der

grosse Untergang sein muss!

      Die Orgel ist Händels Windbraut, das ist sie bereits

gewesen, bevor er nach Italien aufgebrochen war um im

Stimmklang der Oper aufzugehen.

      Mattheson sagt:

      Insbesondere übertrifft Händel so leicht keiner im Orgelspiel,

es müsste Bach in Leipzig sein. Weshalb die beiden

auch, ausserhalb alphabetischer Ordnung, zuoberst stehen.

      Ich hab sie in ihrer Stärke gehört, und mit dem ersten

manches Mal, sei es in Hamburg oder Lübeck, konzertiert.

      Und an anderer Stelle sagt Mattheson:

      Händel war stark auf der Orgel, stärker als Kuhnau,

in Fugen und Kontrapunkten besonders ex tempore, aber

er wusste sehr wenig von der Melodie, ehe er an die

hamburgische Oper kam.


Heiraten passt nicht in sein Leben

Mit Mattheson hatte Händel im August 1703 den Organisten

Dietrich Buxtehude in Lübeck besucht, die Stelle war zur

Nachfolge ausgeschrieben, mit der Besetzung aber eine Heirat

mit Buxtehudes Tochter Anna Margarita verbunden,

nicht Händels Sache, Heiraten passt nicht in das Leben

des Junggesellen.

      In Hamburg war Händel an der Oper zuerst als Geiger

angestellt, dann als Continuo-Cembalist. Eine Vakanz, er

springt ein, übernimmt das Cembalo, und einmal

am Generalbass tut er den nächsten Schritt, er dirigiert.

      Dabei komponiert Händel längst, bringt Anfang 1705

in Hamburg seine Oper Almira heraus, bald folgt Nero, aber da

hatte er sich bereits überworfen mit Mattheson, der

Händel mit dem Schwert attackiert.

      Abgeprallt ist die Klinge am Knopf der Weste und der Partitur,

die Händel gerade unter dem Hemd trägt, als er Ende

1704 das Opernhaus nach einer Cleopatra-Vorstellung verlässt,

in der Mattheson, der Komponist, erst den Antonius

singt, der auf der Bühne stirbt, und anschliessend seine Oper

zuende dirigiert, wobei Händel, sein Stellvertreter,

jedes Mal zur Clavicimbel zurückzukehren hat, was er an

diesem Abend verweigert.


Das Ende einer Männerbeziehung?

Ein Mantel- und Degenstreich? das Ende ihrer Freundschaft? das

Ende einer Männerbeziehung? Ebelin hat nie verstanden,

was Mattheson mit seinem Schwert gewollt hat. Im folgenden Jahr

folgt Händel einer Einladung nach Italien, wo er drei Jahre

bleibt, mit Aufenthalten in Florenz, Rom, Neapel und Venedig.

      Und was Italien angeht, sagt Mattheson:

      Soviel Aufheben von der Orgel in Trient gemacht wird,

der Organist soll erstaunt gewesen sein, als er den Signor

Sassone, so nannten die Italiener Händel, bei der

Durchreise drauf spielen hörte.

      Noch Jahrzehnte später erbittet Mattheson biographische

Daten bei Händel in London, aber der hat ein für allemal abgesagt

und nach Hamburg geschrieben, am 29. Juli 1735:

      Au reste, pour ramasser quelque Epoque, il m’est impossible,

puisqu’ une continuelle application au service de cette Cour &

Noblesse me detourne de toute autre affaire.

      Auf deutsch ist das, zugegeben, nicht die Hälfte wert:

      Im übrigen ist es mir nicht möglich einige Lebensdaten zusammenzustellen, der ständige, Hof & Adel verpflichtete Dienst

hält mich von allem anderen ab.


Obwohl es dazu höchste Zeit wäre

Neulich erst, Ende 1739 also, hat Händel zwei neue Briefe

aus Hamburg erhalten, aber darauf reagiert er nicht

mehr. Er liefert Mattheson keine Angaben zu seinem Leben,

und er weiss warum.

      Er traut Mattheson nicht. Nächstes Jahr wird, in dessen

Grundlage einer Ehrenpforte, Händel betreffend zu lesen sein,

man habe noch nicht davon gehört, dass er verheiratet

sei, obwohl es dazu höchste Zeit wäre, wobei Ebelin das Wort unverheiratet in den Befund Sodomit überführt.

      Letztlich, denkt er, redet Mattheson von sich selbst. Er ist es,

der 1709 geheiratet hat, mit achtundzwanzig, eine anglikanische Pfarrerstochter, Catherine Jennings, angeblich verwandt

mit einem britischen Admiral.

      Und was ist mit Buxtehude, über den Mattheson sich

mokiert? mit der unverheirateten Tochter Anna Margarita,

die bei der Besetzung der Organistenstelle in Lübeck

1703 vierunddreissig ist? J. C. Schieferdecker, der Korrepetitor

der Hamburger Oper und spätere St. Mary's-Organist in London, heiratet sie, was Mattheson verschweigt. Ebenso wie

den Umstand, dass Buxtehude selbst bereits die Tochter seines

Vorgängers als Organist in Lübeck geheiratet hat.


Wenn Frauen mit dabei sind

Galatea, dry thy tears. Das Finale, der Chor. Galatea,

trocknet eure Tränen. B-dur. Kein Feuerwerk, ein leiser Puls.

Die Klangfläche, ein sanftes Murmeln.

      Im Lincoln’s Inn Fields Theatre geht Acis and Galatea zuende,

der Obere Rang, aufgesprungen, applaudiert im Jubel,

im Stehen, und Ebelin, mittendrin, sieht Jennens, der im Parkett applaudiert und mit der Zunge über die Lippen fährt.

      Und Ebelin ist auch dabei, als Jennens hinterher Händel

aufsucht, in der Garderobe steht und Händel zur Neufassung beglückwünscht. Ebelin sieht, wie Jennens, als La Francesina

hinzutritt, im Bühnenkostüm, um Worte verlegen ist plötzlich.

      Der Mann, der sich nicht wohlfühlt, sobald Frauen in

Gesellschaft mit dabei sind! Jennens ist fünfzehn Jahre jünger

als Händel. Jennens hat sich 1718 im Oxford Music Club

betätigt, als er das Balliol College Oxford besucht, aber er hat

nicht graduiert, hat Ebelin von Smith gehört. Jennens

hätte einen Eid ablegen müssen. Und ein Nonjuror schwört nicht.

      Ebelin sieht, wie Jennens dasteht. „Nein”, sagt Händel.

„Aber ihr seid ja auch nicht Mr. Gay.” Und La Francesina fragt:

„Hat es euch gefallen?” Jennens sagt: „Doch, doch. Ich

hab es Mr. Händel soeben gesagt.” Einsilbig steht er da, der

College-Schüler aus Oxford, fährt mit der Zunge über

die Lippen und ist verstummt.


Es ist ein Witz, denkt Jennens

Es ist ein Witz, denkt Ebelin. Als die University of Oxford

1733 Händel den Ehrendoktortitel verleihen will, stellt sich heraus,

dass Händel dafür bezahlen soll, und er verzichtet.

      Er hat Athalia mitgebracht, zur Uraufführung. Dabei hören

ihn Michael Festing und Thomas Arne auf der Orgel improvisieren,

und beide, sagt Charles Burney, hätten ihm versichert,

weder sie selbst noch einer ihrer Bekannten hätten je ein solches Improvisieren oder vorsätzliches Spielen auf einem

solchen oder irgendeinem anderen Instrument gehört.

      Kriegsnachrichten gibt es auch, aber Ebelin hat sie an diesem

Tag aus The London Daily Post herausknobeln müssen.

Der Hofberichterstattung aus Konstantinopel und Wien folgt die Vierzeilenmeldung:

      Wir hören aus Neapel, mehrere englische Schiffe

hätten vor kurzem dort angelegt, in der Nacht drauf aber Segel

nach Livorno gesetzt, indem sie einem Rat des britischen

Konsuls in der Stadt folgten.

      Dreissig Zeilen weiter die Fortsetzung:

      Aus Livorno schreiben sie, mehrere englische Schiffe

seien dort angekommen. Ihre Kommandanten berichten, Admiral Haddock hätte derart wirksame Massnahmen getroffen,

um die Seefahrt im Mittelmeer sicher zu machen, dass keine spanischen Piratenstücke zu befürchten seien.


Vor Havanna eingetroffen

Was Madrid verbreitet? Spanische Hafenstädte hätten

ihre Befestigung verstärkt, sodass eine Einnahme von der Küste

her nicht zu befürchten sei. Stattdessen belagerten

die Spanier Gibraltar.

      Und auf Seiten der Engländer erobert General James

Orglethorpe in Florida zwei spanische Forts und verschiebt mit

der Landnahme die Grenze von Georgia westwärts, auf

Kosten der Spanier.

      Und erst vorgestern hat Ebelin in The Daily Gazetteer

die Meldung gefunden:

      Aus Dublin vom 8. des Monats wird mitgeteilt, einige

Gentlemen der Stadt hätten Briefe mit der Mitteilung bekommen,

dass die Schwadron von Admiral Vernon am 23. Oktober

vor Havanna eingetroffen sei.

      Sie hätte den Gouverneur zur Übergabe aufgefordert, nach

dessen Weigerung mehrere Bomben auf die Stadt abgefeuert und

mit der Bombardierung fortgefahren, als die Briefe abgingen.


Das Recht mit Sklaven zu handeln

England, das weiss Ebelin, beansprucht das Recht

uneingeschränkt mit Sklaven zu handeln, mit Arbeitskräften, in

Afrika eingetrieben, gefesselt, abtransportiert, verschickt,

eine Handelsware.

      276 000 erbeutete Schwarze exportieren englische Schiffe

in den 1730er Jahren in die Neue Welt. Mit Sklaven

an Bord legen in London 282, in Liverpool 231 Schiffe ab. Es

ist eine Entdeckung, die Ebelin irritiert hat: Händel ist

ein Investor der Royal African Company, die Afrikaner in die

Karibik und nach Amerika transportiert, mehr als

zweihunderttausend im Laufe der Jahre.

      Es geht beim Krieg um Jenkins’ Ohr um das Ohr der Welt,

es geht um den Führungsanspruch des Empires

im Welthandel. Die Versklavung der Schwarzen ist Teil der

Vorrangstellung der Weissen, sie ist Teil ihrer

Vorteilnahme und ihrer Macht.

      In den englischen Kolonien auf dem amerikanischen

Kontinent, auch das weiss Ebelin, hat sich seit 1700 die Bevölkerung, aber auch die Agrarproduktion vervielfacht.

      Von den sieben bedeutendsten landwirtschaftlichen

Nutzpflanzen sind vier amerikanischen Ursprungs, Kartoffel, Mais, Maniok, Süsskartoffel, die anderen drei sind Weizen,

Gerste, Reis.

      Vor zwanzig Jahren haben South Carolina und Georgia

sechs Millionen Pfund Reis produziert, 1740 werden es dreissig Millionen Pfund Reis sein, und die werden grösstenteils

nach Grossbritannien exportiert.


Sieht er Händel Tee trinken?

Aber nicht nur Produkte, die Ersatz für Nahrungsmittel sind,

die in der Alten Welt verzehrt werden, kommen aus der

Neuen Welt, sondern auch Produkte, die neue gesellschaftliche Lebensstile eröffnen, Kakao, Tabak, Kokain.

      Händel raucht Pfeife, er trinkt Kaffee, er lässt sich heisse

Schokolade reichen, er trinkt Wein und Champagner, aber sieht

Ebelin ihn Tee trinken?

      Aber doch sicher. Wie könnte Händel sonst all die

nachmittäglichen Parties überstehen, die er bei ihn bewundernden Ladies verbringt, an deren Gebäck er sich gütlich tut?

      Lässt nicht der Tee im aufsteigenden Blütenduft Stolz

und Grösse des Empires ermessen? In The London Daily Post hat Ebelin heute diese Anzeige gelesen:

      Durch die Company of Tea-Traders wird im Royal Exchange

Tea Warehouse, erster Stock Nordseite, zur Bartholomew

Lane, Tee in allen feinen Sorten verkauft, Superfine Hyson, Finest Queen Tea, Finest Soutchong Tea, Finest Congou Tea,

Finest Pekoe Tea, Finest Imperial Tea, Fine Bohea Tea und Fine Bloom in allen Sorten.

      Weiter ein grosses Angebot anderer Sorten feinster

Green Teas, alle rein, frisch und echt. Die Company hat

beschlossen in ihrem Kaufhaus ausschliesslich

Tee anzubieten, der direkt aus den Kaufhäusern der East-India Company geliefert wird.

      Es ist Donnerstag, 20. Dezember 1739, die zweite Aufführung

von Acis und Galatea ist vorbei, und Händel macht mit

seiner Konzertsaison Pause. Ferien stehen vor der Tür. Und Weihnachten, um das kein Aufheben gemacht wird.

      Nächsten Dienstag ist Weihnachten. Aber Jennens vergisst

nichts, denkt Ebelin. Er wäre nicht überrascht, wenn

Jennens den Gottesdienst in der Chapel der Nonjurors an der

Great Ormond Street besuchte, wo Reverend George

Hickes predigt. Oder Reverend Robert Nelson.


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