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BELGRAD-EXPRESS
Fritz Hirzel, Beograd-Express, TagesAnzeiger, Zürich,
10. November 1983, nachkorrigiert
Was ins Auge springt, sind die fremden, schweren Wagen,
die frühzeitig auf dem Perron bereitstehen, die mit
Gepäck beladenen Passagiere sowie die Menge ihrer Begleiter.
Es sind beidseits der aufgezogenen Fenster Fremdarbeiter,
keine Touristen. Diesmal täuscht der Blick des Passanten nicht,
mag er auch nur durch Zufall drauf stossen. Dieser Zug
steht, was am Schlafwagen die kyrillische Schrift andeutet,
nicht einfach vor einer Fahrt in den Südosten, die
beschwerlich, weil überlang zu werden verspricht. Dieser
Zug ist vielmehr ein Überläufer aus der Zeit, als eine
Eisenbahnfahrt über die Grenze mit schmerzlicher Trennung
zu tun hatte, angesichts derer die Menschen auf
dem Perron mit vor Rührung nassen Augen sich um den
Hals fielen.
Hier, bei der Verabschiedung des Belgrad-Express, ist es
immer noch, wie es einmal hätte gewesen sein können.
Mehr noch, für einen Novemberabend Ungewöhnlicheres, spielt
sich, wenn es auf das Wochenende zugeht, nach
dem letzten Händedruck, nach der stummen Umarmung
im Stimmengewirr ab. Wenn der Zug pünktlich, kurz
vor halb acht wie an jedem Tag, aus der Halle des Hauptbahnhofs
rollt, fliegen Dutzende winkender Arme hoch, mit Heftigkeit
erwidert aus den Fenstern der sich entfernenden Wagen, die einen
Tag später beinahe erst Belgrad, ihr Beograd, erreichen. Der
Menge der Zurückbleibenden entsteigt mehrstimmig als jauchzender Gruss zum Abschied ein kräftiges, wieherndes Juhu, das die
Akustik der Perronüberdachung dem Zug hinterherträgt.
„Ciao, Papi, ciao! Komme wieder!“ Die junge Frau, lebendige
Augen, schmales, bleiches Gesicht, kurzes, schwarzes
Haar, ruft es auf deutsch dem Mann zu, der ein paar Schritte
mitläuft. Nein, das ist kein Zug, in den Zufallskundschaft
sich verirrt. Die Passagiere, die ihn besteigen, tun es mit der
Sorgfalt, die Leute an den Tag legen, die sich etwas
Wichtigem unterziehen. Lange bevor er bereitgestellt wird,
stehen etliche mit sperriger Habe bereits auf dem
Perron. Doch dieses Mal wird‘s, bevor der Zeiger auf die
Abfahrtszeit springt, plötzlich dramatisch. Durch die
Herumstehenden kommt ausser Atem eine Dreiergruppe mit
Gepäckrollwagen herangerannt. Fragen an den
Kondukteur, bedauerndes Kopfschütteln: Nein, er kann ihm
ein Billett nur bis Buchs geben! Der Kurzentschlossene
stemmt den ersten Koffer hinein, den zweiten, besteigt das
Trittbrett, die Begleiterin küsst ihn. Die Türe wird
zugeworfen, der Zug fährt an.
Wie muss die Reise, denke ich, ihm nach dem überstürzten
Einstieg quälend lang werden!
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