Jeremiah Davison, Kitty Clive, circa 1735. Kitty Clive hat die Polly

der Beggar‘s Opera schon gegeben. Sie liefert Susanna

Cibber 1736 einen öffentlichen Fight darüber, wem die Rolle gehört.

Kitty Clive, die Händel-Sängerin und Schauspielerin, singt unter

Händel in Samson 1743 die Dalila.


Jeder eine Fackel in der Hand   weiter   zurück



EINE ANDERE GESCHICHTE


Händels Diener heisst John Du Burk. Und

John Du Burk stellt am 19. Februar 1740 Reflexionen

an über einen Satz, den er seinen Herrn

einmal hat sagen hören: „Der König steht nicht

mehr in meiner Gunst.“



               Neil Coke, Jeder eine Fackel in der Hand. Roman.

               Dienstag, 18. Februar 1740

             

Erst geht er. Dann tanzt er, tanzt im 4/4-Takt! Andante,

Largo e piano, Fuga, Adagio, Bourrée hat Händel die Sätze im Concerto on the Organ op. 7 Nr. 1 überschrieben, das er

diesen Vormittag zuende komponiert.

      Eine Etage höher, in Händels Schlafzimmer, spitzt Du Burk

den Mund, pustet die Cupidofigur an und wischt mit dem Wedel

den Staub von ihr ab. Dann stellt er sie sorgfältig, fast

zärtlich auf die Kommode zurück, pustet in die klammen Finger

und reibt die Hände.

      Es ist Dienstag, 19. Februar 1740. In zehn Tagen wird

Händel das Orgelkonzert op. 7 Nr. 1  in B-dur im Lincoln’s Inn

Fields Theatre aufführen.

      Da es mit einer grossangelegten Chaconne in zwei miteinander verbundenen Sätzen beginnt, für die der Part der Solo-Orgel

ein Instrument mit Pedalen erfordert, wird der Orgelbauer Jonathan Morse ins Theater an der Portugal Street gehen und Händels

Orgel mit einem Pedalbrett versehen, das er durch Seilschlingen

an die Tasten der Manuale anbindet.

      Es gibt, hat Du Burk von Ebelin gehört, in London nur

eine einzige Pedalorgel, und die befindet sich an erster Adresse,

in der St. Paul’s Cathedral.


Seilzüge! Klamme Finger!

Das Orgelkonzert op. 7 Nr. 1 in B-dur, das Händel am 19.

Februar 1740 zuende komponiert und zehn Tage später bereits

im Lincoln’s Inn Fields Theatre mit der grossangelegten

Chaconne in zwei miteinander verbundenen Sätzen beginnt,

erfordert für den Part der Solo-Orgel tatsächlich ein

Instrument mit Pedalen.

      Später, in der Druckfassung, folgt dem Largo unmittelbar

die Bourrée, aber im Autograph gibt Händel unmissverständlich

die Anweisung, dass die Fuge aus dem Concerto grosso

op. 6 No. 11 einzufügen ist, mit einer eingeschobenen Orgelkadenz.

      Seilzüge! Klamme Finger! Das Orgelkonzert wird

Händel im Lincoln’s Inn Fields Theatre am selben Abend

aufführen, an dem er L’Allegro, il Penseroso aus der

Taufe hebt. Aber bisher ist es Händel nicht gelungen, Acis and

Galatea ein drittes Mal zu wiederholen.


Bis Vorstellungsbeginn gefeuert

Wegen der anhaltenden Kälte hat er die Aufführung

immer wieder verschieben müssen, und das bereits dreimal.

      Two chief singers, hatte Du Burk am 14. Februar 1740 The

London Daily Post entnommen, being taken ill, da die

Sänger der Titelpartien erkrankt sind, muss die Serenata Acis

and Galatea, die heute im Theatre-Royal in Lincoln’s

Inn Fields aufgeführt werden sollte, nochmals um ein einige

Tage verschoben werden.

      Nicht ohne grimmiges Lachen hatte Du Burk drei Tage

zuvor, am 11. Februar 1740, The London Daily Post entnommen:

      Acis and Galatea wird nächsten Donnerstag (den 14.)

aufgeführt. Particular Care has been taken to have the House

survey’d and secur’d against the Cold, by having Curtains

plac’d before every Door, and constant Fires will be kept in the

House ‘till the Time of Performance.

      Heidegger, der Krönungsfeierbeleuchter, feuert bis

Vorstellungsbeginn! Er lässt besondere Vorkehrungen treffen

um das Haus zu sichern und gegen die Kälte zu schützen,

indem er an jeder Tür Vorhänge anbringen und im Haus bis zu

Beginn der Vorstellung permanent Feuer unterhalten lässt.

      Die erste Absage hatte Heidegger nochmal fünf Tage

früher erteilt. In Consideration of the Weather, hatte Du Burk

am 6. Februar 1740 The London Daily Post entnommen,

continuing so cold, in Anbetracht des weiterhin so kalten Wetters

wird die Serenata Acis and Galatea, die morgen Abend

im Theatre-Royal in Lincoln’s Inn Fields aufgeführt werden sollte,

um einige Abende verschoben, wozu in The General and

Daily Advertiser eine Anzeige erscheinen wird.


Von Kälte unbeeindruckt

Nur, Händel beeindruckt die Kälte wenig.

Nach L’Allegro, il Penseroso hat er jetzt auch das Orgelkonzert

op. 7 Nr. 1 in B-dur fertiggestellt.

      Zudem ist Dienstag, 19. Februar 1740, ein guter Tag, was

die Kälte angeht, es ist der Tag, an dem der Zeltstadtbudenzauber seinen Kehraus erlebt, wie Du Burk The London Daily Post

mit einer Mischung aus Frohlocken und leisem Bedauern entnimmt.

      Knirrschend, überfällig, eisbrüchig geht das zweimonatige Naturspektakel der gefrorenen Themse flau und ohne jeden Schlussakkord zuende.

      Dabei waren die Schneeräumarbeiten in der Stadt noch

immer im Gang, die Schäden und Beeinträchtigungen

durch die Kälte längst nicht behoben, viel zu spät und viel zu

zögerlich hatte man sie angepackt.

      Das Betreten der lange Zeit sträflich vernachlässigten

Fleet Street war so gefährlich geworden, dass ein Grossaufgebot zusammengerufener Männer am Sonntag, 27. Januar 1740

angetreten war, das endlich einen passierbaren Weg

freigeschaufelt hatte.


Am weissgedeckten Tisch sitzt James Harris

Drei Stunden später. Vorderzimmer, erstes Obergeschoss.

Du Burk hat, eine Serviette über dem Arm, das Dinner und den

Wein aufgetragen.

      Bei Händel am weissgedeckten Tisch sitzt James Harris.

Jetzt sind sie mit dem Essen fertig, und als Du Burk abzuräumen beginnt, sagt er: „Ach, ehe ich es vergesse – da ist noch

etwas. Mr. Heidegger lässt ausrichten, er hat gestern Abend

den Fuss verstaucht.”

      Händel sagt: „Also werde ich ohne ihn auskommen

müssen.” Und Du Burk, einen Teller mit Goldrand in der Hand:

„So sieht es aus.”

      „Was sagt ihr zum Papst?” fragt James Harris. Er hat sich zurückgelehnt, sitzt am Tisch und liest in dem Brief,

den er gerade eben aufgerissen hat. „Mein Bruder schreibt, der

Papst soll Konzerte gegeben und selbst sehr gut Laute

gespielt haben.”

      Händel fragt: „Clement XII.? War der nicht blind?”

Harris sagt: „Vor fünf Tagen ist er gestorben.” Für einmal

hält sein Bruder, der Anwalt George Harris, sich in

Salisbury auf. Der Brief ist adressiert an James Harris,

Will’s Coffee House, London.

      Händel sagt: „Der Papst? Als ich nach Italien

kam, war Clement XI. im Amt. Er hat sofort alle Theater

geschlossen.”

      „Dann werde ich jetzt den Kaffee auftragen”, sagt Du Burk.

„Und einen kleinen Dessert.”


Er ist seinem Libretto nachgereist

James Harris ist seinem L’Allegro, il Penseroso-Libretto

nach London nachgereist, trotz aller Unbill des Wetters. Ihm und Charles Jennens bringt Händel an der Brook Street am

Nachmittag zu Gehör, was er inzwischen vertont hat, es ist

das komplette Werk.

      Teil eins hatte Händel am 25. Januar fertiggestellt,

Teil zwei am 2. Februar, und Teil drei, die von Jennens

durchgedrückte, vermeintliche Quintessenz des

Ganzen, das Il Moderato, bereits zwei Tage später.

      James Harris bleibt bis zur Premiere. Er wohnt bei George

Harris in Lincoln’s Inn. Er ist bei der Probe dabei, als

John Beard Haste thee nymph erstmals intoniert, auf dem

Cembalo begleitet von Händel, aber da ist die

Lachnummer erst angetippt, ein uneingelöstes Versprechen.

      Überhaupt, sein Libretto hat sich so verändert!

Erkennt er sie noch, die pastorale Ode nach Milton, die

er angeregt und in der ersten Fassung selbst

getextet hat?

      Aus Frohsinn und Trübsinn, den widerstreitenden

Leidenschaften, ist ein Dreigestirn aus Frohsinn, Trübsinn und Mässigung geworden, aber was hält er von Jennens

Anhang, fällt er für Harris nicht ab?


Ein seltsamer Gentleman

Du Burk läuft treppab ins Erdgeschoss und in die Küche

im Keller hinab. Harris, der Lover of Musick. Ein

seltsamer Gentleman! Mal kommt er allein, mal mit Jennens,

mal wieder allein, aber was soll’s? Du Burk zuckt

die Schultern.

      Für ihn sind sie immer ein bizarres Völklein gewesen,

die Enthusiasten der Oper, rührend und irgendwie stets auch

ein bisschen bekloppt, vor allem wenn Du Burk daran

denkt, wie sie als Einzelexemplare auftreten.

      Und erst, wie sie den Mund voll nehmen, wenn sie

feierlich werden, Kunst, Wahrheit, Liebe. Meine Güte! Du Burk

hat anderes im Kopf, Unterwerfung, Krone, Macht,

Korruption, Gewalt.

      Die zwei amtierenden Champions – Smallwood,

Sedanstuhlträger, und Dimmock, Kutscher – boxen im Grossen

Zelt in Tottenham Court, letzterer wird niedergeschlagen,

renkt das Schlüsselbein aus und kommt im Ring um, obwohl sie

sich bemühen ihn zur Ader zu lassen und alle geeigneten

Mittel einsetzen, alles umsonst.

      Ein Mann und sechs Frauen werden in St. George,

Hanover Square, wegen Bettelei aufgegriffen, zum Pranger

geschleppt und ausgepeitscht. Besonders steht

Du Burk auf Hofnachrichten, und ganz besonders steht er

darauf, wenn sie aus dem Parlament kommen.

Schuldet er das nicht seiner Stellung als Diener?


Sie ist die aktuelle Maitresse 

Walmodem! Du Burk hat The London Daily Post gelesen.

Madam Amelia Sophia Walmodem, commonly

called Madam Valmonte, took the Oaths in the House of Lords

in order for her naturalization.

      Eine unscheinbare Notiz, am Sonntag vor einer Woche.

Die Lady ist die aktuelle Maitresse von George II. Sie stammt

aus Hannover wie der König, vor zwei Jahren ist sie

nach London gekommen.

      Madam Amelia Sophia Walmodem, gewöhnlich Madam

Valmonte genannt. Sie hat im House of Lords den Eid abgelegt

und sich einbürgern lassen. Aber die Frage, die Du Burk

durch den Kopf geht, ist eine andere: Was kann sie, was eine

englische Maitresse nicht kann?

      In der Küche setzt Sarah Bals Wasser auf und malt Kaffee.

Du Burk stellt Tassen und Untertassen bereit. Eng,

erstickend, mühselig, denkt er, muss Händel der Hof in Hannover

in seiner pompösen Nichtigkeit erschienen sein, als er

nach sechs Monaten in London dorthin zurückgekehrt war.


Tanzlehrer 240 Pfund, Musiklehrer 200

Zu King George II. hätte Du Burk gern mehr gewusst,

mehr als er bisher aus seinem Herrn herausbekommen oder

nebenbei mitgehört hat. Händel hat George II. zum

ersten Mal 1710 in Hannover getroffen. Da ist der König siebenundzwanzig gewesen, Händel dreiundzwanzig.

      Das Leben ist ein einziges, fortgesetztes Beziehungsdelikt,

vom Augenblick an, wo der Zufall die Situation auftut,

die dann zur Lebensposition wird, wenn einer das Glück packt.

Es ist kein Zufall, dass ein Deutscher sein Herr ist,

Händel, Hendall, Handel.

      Queen Caroline hatte King George II. einen Thronfolger

geboren, das war ihr Sohn Frederick, Prince of Wales, aber da

waren auch drei Töchter, die Princesses Anne, Amelia

und Caroline.

      240 Pfund hatte ihr Tanzlehrer Anthony L’Abbé im Jahr

von den Prinzessinnen erhalten, 200 Pfund ihr Musiklehrer

Händel, 73 Pfund 10 Shilling ihr Italienischlehrer

Paolo Rolli.

      Viele Schüler hatte Händel nicht gehabt, und es war

Princess Anne, die Tochter von George II. und jetzige Ehefrau

von Prinz Wilhelm von Oranien, die Händel für seinen

besten Schüler hielt, und Hester Temple, Vicomtesse Cobham,

für den zweitbesten.


Der König steht nicht mehr in meiner Gunst

Eines Abends war Du Burk ins Erdgeschoss hinunter

gekommen, wo er im Salon mit der Bibliothek Händel noch mit

Ebelin angetroffen hatte, der Mitarbeiter im Scriptorium

von Smith war.

      Die beiden hatten einfach so noch dagestanden, in eine

launige Plauderei verwickelt. Von Ebelin hatte Du Burk aber nur

Wortfetzen gehört, „der Thron”, „die Musik”, „fest in

deutscher Hand”, worauf Händel in vollem Ernst erwiderte:

„Der König steht nicht mehr in meiner Gunst.”

      Als Du Burk diese kleine Sottise mal vertraulich

weitererzählte in der Hoffnung, mit der Indiskretion einem

One Night Stand zum Durchbruch zu verhelfen, hatte

er den Satz von Händel wiederholt wie einen Kalenderspruch:

„Der König steht nicht mehr in meiner Gunst.”

      Sie hatte kurz aufgelacht, Lucy, die rothaarige Leserin.

Unsinnigerweise hatte Du Burk dem Satz von Händel noch

hinzugefügt: „Das müsst ihr euch mal auf der Zunge

zergehen lassen.”

      Aber Lucy hatte dafür nicht den Flavour, und Du Burk

griff ihr dreist unters Hemd, sie waren im Salon

mit der Bibliothek im Erdgeschoss gelandet, und Lucy kicherte,

es war ein milder Herbstabend gewesen, sein Herr

war zur Kur, seit Wochen, zur Bäderkur in Aachen, und Smith

war längst nach Hause gegangen, ditto Ebelin, und

Sarah Bals bei Verwandten in Liverpool. Die Gelegenheit also!

      Trotzdem, Du Burk wollte Lucy nicht in seine Kammer

mit hinaufnehmen. Sie war ein Dienstmädchen, und sie waren

beide ein bisschen betrunken. Irgendein Verlassenheitsgefühl

hatte sie an diesem Abend zusammengebracht, sie brauchten

beide jemanden, den sie an sich drücken konnten.


Er schickt sie in die Nacht hinaus

Und bald kungelten sie auf dem Teppich, er hatte ihre Kleider durchwühlt, plötzlich lag sie da, das letzte Tuch war hochgerutscht,

und Du Burk sah, während er halb unter dem Tisch mit

dem Knie auf ihrem Schenkel lag, ihre kleine, buschige Öffnung.

      Lucy kicherte, Du Burk rückte ihr entschlossen näher,

und sie umschlang ihn heftig, und in dem ganzen aufgeregtem Hinundher sagte sie plötzlich: „Kommt, die Tür ist offen.”

      Diese Worte. Du Burk hob den Blick. Diese Worte,

die einen Taschendieb aus ihm machten.

      Die Welt des hinteren Salons starrte Du Burk entsetzt an,

der Polsterstuhl, der alte, abgeschlossene Ofen, der

Wandschreibtisch, der schwarzgerahmte Drehspiegel, der alte

Ständer, die Feuerwand, Kommode und Konsolen,

die viereckige Kiste, die Mange, das Bücherbrett, die zwei Perückenhalter.

      Spontane, dumme, nackte Angst packte Du Burk.

Nein, das konnte er seinem Herrn nicht antun. Er stand auf,

machte die Hose zu und schickte Lucy wortlos in

die Nacht hinaus.

      Anderntags hatte Smith ihn am Morgen als erstes gefragt,

mit deutschem Akzent und so ruppig im Ton, als hätte Du Burk gestohlen, als hätte er verkauft, was ihm nicht gehörte:

„Habt ihr die Giulio Cesare-Partitur gesehen?” Du Burk hatte

den Blick gesenkt und gesagt: „Ich hab’s mit den Silberlöffeln,

ihr habt’s mit den Noten.”


Blume der Prinzessinnen 

Der König steht nicht mehr in meiner Gunst?

Du Burk glaubte zu wissen, von Anfang an, was Händel mit

seiner dummdreisten Bemerkung gemeint hatte. Es war

alles wegen Princess Anne, da war Du Burk sich sicher. Princess

Anne, Händels Schülerin, war die Blume unter den

Prinzessinnen, so nannte Händel sie.

      Princess Anne hatte im Unterschied zu Frederick,

ihrem Bruder, mit dem sie zerstritten war, gegen die Opera

of the Nobility Stellung bezogen, wie stets auch der

König und die Königin.

      Als Princess Anne im März 1734 geheiratet und mit Prinz

Wilhelm von Oranien in Holland Wohnsitz genommen

hatte, verlor Händel seinen wichtigsten, um Ausgleich bemühten, königlichen Supporter.

      Jetzt war sie Princess of Orange, Du Burk erinnert sich

an den Bericht des Daily Gazetteer, sie hätte eine

Fehlgeburt erlitten und sei Montag, 17. Dezember 1739 um halb

ein Uhr nachts in Leeuwarden in Friesland von einer

Princess entbunden worden, die nur eine halbe Stunde gelebt

hätte, aber Ihrer Royal Highness ginge es den

Umständen entsprechend gut.

      Das erste Mal soll ihr abends um acht übel geworden

sein, zwei Stunden später hätten die Wehen eingesetzt. Betreut

wurde Ihre Royal Highness in jener Nacht von Dr. Douglass,

ihm standen Monsieur du Bois, Professor für Physik

an der Universität von Francker, Dr. Winter, Arzt ihrer Durchlaucht,

und zwei Hebammen zur Seite.

      Gleichzeitig begaben sich drei Staatsabgeordnete

von Friesland mitsamt ihrem Minister zur Kammer der Princess,

in der bereits Princess Dowager und die Ladies des

Hofes sich aufhielten.


Es ist nicht das Geld

Ohnehin war es eine turbulente Zeit gewesen, Anfang der

1730er Jahre, eine Zeit der Machtkämpfe, die auch die politische Community der Opernpatrons betrafen, die Royal Family

und sogar den Musikerberuf.

      Die Pläne, in London eine Oper aufzuziehen, die mit Händels

Oper konkurrierte, nahmen mit der Opera of the Nobility

Gestalt an, die vom Prince of Wales unterstützt wurde. Aber das

war es nicht. Der Prince of Wales unterstützte weiter auch

Händel, und das mit 250 Pfund im Jahr.

      Es war auch nicht das Geld, das Händel vom König erhielt.

Nein, die tausend Pfund im Jahr erhielt Händel noch immer,

und es konnte durchaus vorkommen, dass Händel, um das Geld

abzurufen, eine Opernpremiere hinauszögerte, bis George II.

wieder in der Stadt war. Händel stand nach wie vor in der Gunst

des Königs.

      Eben hatte sein Verleger John Walsh (der Sohn hatte das

Geschäft des alten John Walsh übernommen, der am 13. März

1736 gestorben war) von George II. die Engraving, Printing

and Publishing Licence, das exklusive Vervielfältigungsrecht zu Händels Werk, für weitere vierzehn Jahre bekommen.

      Das Dokument war unterzeichnet mit George the second,

by the Grace of God, King of Great Britain, France and Ireland, Defender of the Faith, eine Unterschrift, die Du Burk sich

sogleich eingeprägt hatte, George der zweite, durch Gottes

Gnade König von Grossbritannien, Frankreich und

Irland, Verteidiger des Glaubens.


Dem König nie eine Partitur geschenkt

Vom König und seiner Familie hatte Händel zudem in der

einen oder anderen Form Zuwendungen von mindestens

sechshundert Pfund im Jahr erhalten, zweihundert

Pfund in Fortzahlung der königlichen, von Queen Anne 1713 installierten Pension (und Händel hatte triumphiert

mit seiner Ode for the Birthday of Queen Anne), zweihundert

Pfund als Komponist der Royal Chapel und zweihundert

Pfund als Musiklehrer der königlichen Princesses.

      Und es war keineswegs so, dass Princess Anne die finanzielle Patronage für Händel einstellte, als sie 1734 England

verlassen hatte. Zu ihrer eigenen Verfügung hatte Princess

Anne jährlich fünftausend Pfund.

      Und einiges von diesem Geld investierte sie in Musik,

die sie in England einkaufte, speziell Händel-Partituren, die

Smith oder Ebelin ihr lieferten.

      Ausserdem läpperten sich von Holland aus enorme

Summen zusammen, die Princess Anne ihrer Schwester

Caroline gab, dreitausendundachtzig Pfund 1735, zweitausendundfünfzig Pfund 1736, zweitausendundfünfundsiebzig Pfund 1737, ohne dass am Hof jemand genauer hätte

sagen können, was mit diesem Geld geschah und ob da am

Ende nicht vielleicht für die Musik auch etwas abfiel.

      Eine seiner Opern, Floridante, hatte Händel dem König

gewidmet. Aber so, wie es aussah, war es das auch

schon. Zudem war Floridante kein Prunkstück, die als Elmira

besetzte Margherita Durastanti erkrankte, und Händel

schrieb die Partitur so oft um, bis er selbst nicht mehr wusste,

welche ihm denn nun am besten gefiel.

      Nie hatte er die Partitur einer Oper George II. geschenkt,

nie ihm das Autograph eines seiner Oratorien überreicht. Im King’s Theatre, wo sich die Loge des Königs direkt an der

Bühnenseite befand, war George II. wahrhaftig Teil der Vorstellung

im intimen, relativ kleinen Auditorium gewesen, mit

flachem Orchestergraben und mit Logen, die bis zum Rand

der Bühne herunterreichten.

      Walmodem? sagt Du Burk nochmal, aber jetzt sagt er es,

als sei es eine Frage und schüttelt den Kopf. Wann

hat sich George II. das letzte Mal bei Händel in der Oper

gezeigt? An der Premiere von Saul ist er gesehen

worden, mehr als ein Jahr ist das her.


Ein Schuft, wer Schlechtes dabei denkt

Ist das die Magistrale? George II. sitzt, freundliches Gesicht,

in einem noch ungemalten, imaginären Portrait thronend,

weisse, bis zur Brust reichende Perücke, das Zepter in der Linken,

die Rechte mit ausgestrecktem Zeigefinger.

      Aber es gibt nichts, was Bedeutung hat, nichts,

worauf der König zeigen kann, sein Blick geht ins Leere,

so wird Thomas Hudson ihn malen, Öl auf Leinwand,

wenn er den Auftrag bekommt, ein hoffnungsloser Fall, der

König, in bordeauroten Stoff und Teppich drapiert, mit

einem grünen Strumpfband, darauf in goldenen Lettern Honi

soit (qui mal y pense), das Leitmotiv des Order of the Garter.

      Ein Schuft, wer Schlechtes dabei denkt.

Der Souverän, ein cholerischer Zwerg, 1683 geboren,

einziger Sohn von George I., regiert seit 1727,

im Herzen ein Hannoveraner, überlässt die britischen

Angelegenheiten anderen, hauptsächlich Queen

Caroline und Sir Robert Walpole, ein enthusiastischer Militär,

ein Feldherr, ein König, der das Heer befehligt, der

letzte Monarch, der das tut. Und sonst?

      Ein geistloses Männchen mit ziemlich gemeinen

Neigungen, ein Gefühlsschwärmer soll er angeblich sein, seine

Briefe, heisst es, übten einen gefährlichen Zauber aus,

aber diese sentimentale Seite seines Charakters zeigt er nur

seinen Landsleuten und der Königin, solange sie lebt.

      Mit Engländern wird George II. nie vertraut, darin gleicht

er seinem Vater, den er so hasste. Wie er seines Vaters Höflinge

mit der Faust schlug, wie er Mantel und Perücke in seiner

Wut herumkickte und jeden, mit dem er nicht übereinstimmte,

einen Dieb, Lügner, Schuft nannte!

      Und wie er rasch und schlau sich mit Walpole, dem dreisten

Minister, versöhnte, den er zu seines Vaters Lebzeiten

gehasst hatte und der ihm mit bewundernswerter Klugheit, Treue

und Erfolg diente, seit zwölf Jahren jetzt!


Nein, nein. Ich halte mir Maitressen!

George II. war einundzwanzig, als er 1705 Karoline von Anspach heiratete, eine für ihren Verstand und Geist, für ihre

Schönheit und Herzensbildung vielgelobte Prinzessin, eine der zärtlichsten, treuesten Frauen, die je einem Fürsten zur

Seite stand, die ihn treu liebte und die auch er in seiner etwas

plumpen Art bis ans Ende seiner Tage liebte.

      Sie hatte, auch als sie dem Tod schon nah war und

unerträgliche Schmerzen litt, für ihren Gatten noch ein freundliches Wort, ein sanftes Lächeln.

      Kennt Du Burk die letzte Szene an ihrem Sterbelager?

Innig bittet sie den König, nach ihrem Verscheiden wieder zu

heiraten. Laut schluchzend antwortet er: „Non, non,

j’aurai des maitresses!”  Nein, nein, ich werde mir Maitressen

halten, als täte er das nicht schon lang.

      Und kennt Du Burk den Brief, in dem George II.

der Queen aus Hannover über die Walmodem schreibt: Ihr müsst

die Walmodem lieben, denn sie liebt mich.

      Natürlich kennt Du Burk die Szene nicht, er kennt auch

nicht, was in dem Brief steht. Aber er ahnt es, er riecht

es. Walmodem! 1736 hatte sie George II. einen Sohn, Johann

Ludwig, geboren.


Das Bedeutendste am König ist Händels Musik

Als Händel genug hatte von Aachen und zu Du Burks

Erleichterung Anfang November 1737 nach London zurückkehrte,

hatte er als erstes Faramondo zu komponieren begonnen.

      Er ist zwei Tage damit befasst, da stirbt am 20. November

Queen Caroline. Sechs Wochen Staatstrauer. Die

Theater geschlossen. Am 7. Dezember bekommt Händel den

Auftrag und komponiert in fünf Tagen das Funeral Anthem

The Ways of Zion do Mourn, die Trauerfeier findet am 17. Dezember

in der King Henry VII’s Chapel der Westminster

Abbey statt.

      Händel spielt und dirigiert. The ways of Zion do mourn,

or, Funeral Anthem for Queen Caroline. Für Händel ist der Tod

der Queen ein persönlicher Verlust.

      Er hat sie als Elfjährige schon gekannt, er hat in Hannover

Duette für sie geschrieben. In England hat sie ihn

nachhaltig unterstützt, sie hat für sich und ihre Töchter Opernsubskriptionen bezogen, sie hat Händel als

Musiklehrer angestellt und versucht in Händels Interesse zwischen ihrem Gatten und ihrem Sohn zu vermitteln.

      Lutheranisch, das waren sie beide, Händel und die Queen.

Du Friedensfürst, Herr Jesu Christ. Händel gibt den Choral exakt wieder. She deliver’d the poor that cried. So heisst er in

seinem Anthem.

      Funeral Anthem for Queen Caroline. Inkognito hatte

die Königsfamilie der Probe beigewohnt, am 14. Dezember in der Banqueting House Chapel in Whitehall, unter Rubens

Deckengemälde.

      Händel setzte den massiven Apparat ein, den er wichtigen

Staatsakten und Freiluftfeierlichkeiten vorbehielt, achtzig

Sänger, hundert Instrumentalisten, nur dass für Proben keine

Zeit blieb.

      Der Kreis hatte sich geschlossen, aber welcher Kreis?

der Kreis des Lebens? der Kreis der Nachfrage? Ein Jahrzehnt

war vergangen, nichts hatte sich verändert, nichts,

das Bedeutendste an diesem König war die Musik geblieben,

die Händel zu seiner Krönung komponiert hatte, zu Recht

war er populärer als der König.

      For the Coronation of King George II and Queen Caroline.

Zadok the Priest. Von Händel aufgeführt am 11. Oktober 1727,

in der Westminster Abbey.


Hört auf, hört auf, ihr Hexe

Aber hatte sich nicht doch etwas verändert?

Walpole hatte es geschafft George II. in zwölf Jahren seiner Regentschaft aus Konflikten auf dem europäischen

Kontinent herauszuhalten, aber damit war es jetzt vorbei.

      Jetzt hatte der König Spanien den Krieg erklärt,

gegen Walpoles Willen. Und wer konnte voraussagen, wohin dieser

spanische Krieg expandierte, falls England auch noch gegen Frankreich kämpfen sollte, zuerst um die Vormacht

in Europa, dann um koloniale Ansprüche, mit Nordamerika und

Indien als Kriegsschauplätzen?

      Wie hält Händel, hat Du Burk sich immer und immer

wieder gefragt, es mit dem Königshaus?

      Eines Tages ist Händel im Carlton House, wo er die Probe

für eines seiner Oratorios abhält. Die Princess of Wales unterhält

sich derweil mit ihren Ladies & und scheint darauf nicht

weiter zu achten, worauf Händel ruft (laut genug, sodass Ihre

Royal Highness es hören): „Stop, stop, you Bitch.”


Schlechter und schlechter

Das hat Margaret Owen von Burney gehört, das ist

oral history. Sie schreibt:

      Dr. Burney erwähnt Besonderheiten von Händel,

die an sich belanglos sind, aber einen Unterhaltungswert haben,

wenn sie einem so bedeutenden Mann zugeschrieben werden.

      Die zweite Notiz von Margaret Owen lautet:

      Mehr Einzelheiten von Dr. Burney, der Händel öfter

bei Signora Frazi traf, welcher Burney Englisch zu singen beibrachte. Händel war immer sehr frei im Umgang mit der Royal

Family, besonders mit Prince und Princess of Wales & eines Tages erzählte ihm der Prince, er habe Musik komponiert

& möchte gern, dass Händel sie sich anhöre & der Prince liess Weideman, Vincent & die Band kommen.

      Sie fingen an zu spielen, Händel missfiel es offenbar sehr

& er sagte, es sei sehr schlecht, worauf der Prince sie

anwies, es mit einem anderen Stück seiner Komposition zu

versuchen & als er darauf Händel fragte, wie ihm das

gefalle, antwortete Händel: „Worse and worse.”


Psst! Psst! Händel hat seinen Jähzorn!

Auch pflegte Händel, wenn Prince und Princess of Wales

bei den Proben zu einem seiner Oratorios nicht pünktlich im

Musiksaal waren, sehr heftig zu werden, worauf die

Princess jeweils sagte: „Hush! hush! Handel is in a passion!”

Psst! Psst! Händel hat seinen Jähzorn!

      Es hörte sich an, als könnte Händel den beiden ihre

Hochzeit, diesen Kitsch, nicht verzeihen. Es war im Mai 1736,

und es war eine Aufführung von Atalanta, die zu ihren Hochzeitsfeierlichkeiten gegeben wurde, die Aufführung war

immerhin das Hauptereignis seiner Opernsaison gewesen.

      Für die königlichen Gäste hatte John Rich die Szenerie

rundum erneuert, indem er die Bühne des Covent Garden Theatre

in ihrer ganzen Tiefe einsetzte, ein Anblick, den The London

Daily Post mit grosser Detailfreudigkeit beschrieb:

      Die Szene stellte im Vordergrund eine zum Hochzeitstempel

führende Avenue dar, geschmückt mit Figuren mehrerer himmlischer Gottheiten, dahinter ein Triumphbogen, obendrauf die Wappen

ihrer königlichen Hoheiten, darüber die Prinzenkrone.

      Unter dem Bogen auf einer Wolke die Ruhmesfigur, die

Lobpreisungen des glücklichen Paares erschallen liess, während zuoberst in durchsichtigen Buchstaben die Namen Fredericus

und Augusta erschienen.

      Durch den Bogen war ein von vier Säulen getragener Giebel

zu sehen, auf welchem zwei Cupidos sich umarmten

und von Federn getragen in der Prinzenkrone die königlichen

Insignien des Prince of Wales.

      Das hintere Ende ein Anblick des Hochzeitstempels,

die Flügel geschmückt mit Amoretten und Grazien, die hochzeitliche Fackeln trugen und Urnen mit Weihrauch entzündeten,

der zur freudigen Vereinigung dargebracht wurde.


Amouren von eher kurzer Dauer

Eine Marginalie: Die Royals. Und Händel. Posthum fand

sich in der königlichen Bibliothek ein Exemplar von Mainwarings

Händel-Biographie, das King George III. mit einer

Marginalie versah.

      Sie lautet: G. F. Händel war immer ehrlich, nicht übertrieben

höflich, besprach wie alle bedeutenden Männer alles,

hörte auf nichts und missachtete den Rat eines jeden ausser der Frauen, die er liebte, aber seine Amouren waren eher

von kurzer Dauer und stets innerhalb der Grenzen seines

eigenen Berufs.

      Du Burk fährt auf, das Wasser kocht.

Neben ihm, in der Küche im Keller, giesst Sarah Bals den Kaffee

an. Du Burk nimmt die Kanne, stellt sie aufs Tablett,

neben die Milch, die Sarah Bals warm gemacht, neben

die hübschen, köstlichen Petit fours, die sie in die

Bonbonnière gefüllt hat.

      „There is nothing new”, sagt Sarah Bals, „except what you have forgotten.” Du Burk nimmt das Tablett und geht treppauf.



Jeder eine Fackel in der Hand   weiter   zurück




 

Händel und George II.

Georg Friedrich Händel

George Friderick Handel